Gut gegen Nordwind
viele Männer haben Emma verehrt und begehrt, nie wäre mir aufgefallen, dass sie sich auch nur zu einem von ihnen sexuell hingezogengefühlt hätte. Und dann sehe ich die E-Mails, die sie Ihnen schreibt. Und plötzlich erkenne ich, wie stark ihre Begierde sein kann, wenn sie einmal vom »Richtigen« geweckt worden ist. Sie, Herr Leike, sind ihr Auserwählter. Und ich würde mir fast wünschen: Haben Sie einmal Sex mit ihr. EINMAL – (ich wähle dafür eindringliche Blockbuchstaben, wie meine Frau es tut.) EINMAL. NUR EINMAL! Lassen Sie es das Ziel Ihrer schreiberisch aufgebauten Leidenschaft sein. Fixieren Sie damit den Schlusspunkt. Geben Sie Ihrem E-Mail-Verkehr die Krönung – und stellen Sie ihn danach ein. Geben Sie, Außerirdischer, Unantastbarer, mir meine Frau zurück! Geben Sie sie frei. Bringen Sie sie wieder auf den Boden zurück. Lassen Sie unsere Familie weiter existieren. Machen Sie es nicht mir zum Gefallen, nicht meiner Kinder wegen. Machen Sie es für Emma, ihr zuliebe. Ich bitte Sie!
Ich komme nun zum Ende meines peinlichen und peinigenden Hilferufs, meines fürchterlichen Gnadengesuchs. Noch eine abschließende Bitte, Herr Leike. Verraten Sie mich nicht. Lassen Sie mich außerhalb Ihrer beider Geschichte. Ich habe Emmas Vertrauen missbraucht, ich habe sie hintergangen, ich habe ihre private, intime Post gelesen. Ich habe dafür gebüßt. Ich könnte ihr nicht mehr in die Augen sehen, wüsste sie von meiner Spionage. Sie könnte mir nie wieder in die Augen sehen, wüsste sie, was ich gelesen habe. Sie würde sich und mich gleichermaßen dafür hassen. Bitte, Herr Leike, ersparen Sie uns das. Verschweigen Sie ihr diesen Brief. Und noch einmal: Ich bitte Sie!
Und nun sende ich Ihnen das grauenvollste Schreiben, das ich jemals aufgesetzt habe. Hochachtungsvoll, Bernhard Rothner.
Vier Stunden später
AW:
Sehr geehrter Herr Rothner, ich habe Ihre E-Mail erhalten. Ich weiß nicht, was ich dazu sagen soll. Ich weiß nicht einmal, ob ich etwas dazu sagen soll. Ich bin bestürzt. Sie haben nicht nur sich selbst gedemütigt, Sie haben uns alle drei beschämt. Ichmuss nachdenken. Ich werde mich für eine Weile zurückziehen. Ich kann Ihnen nichts versprechen, gar nichts. Höflicher Gruß, Leo Leike.
Am nächsten Tag
Betreff: Leo???
Leo, wo sind Sie? Ich höre unentwegt Ihre Stimme. – Immer die gleichen Worte: »So hat der Typ die ganze Zeit mit mir gesprochen?« Ich weiß also nur zu genau, wie er spricht, der Typ. Allein: Er spricht schon seit Tagen nicht. Hatten Sie in jener Nacht doch zu viel französischen Landwein erwischt? Erinnern Sie sich? Sie haben mich eingeladen, in die Hochleitnergasse 17, Top 15. »Nur einmal riechen«, haben Sie geschrieben. Sie ahnen nicht, wie knapp ich daran war, zu kommen. So knapp wie noch nie. Ich bin mit den Gedanken rund um die Uhr bei Ihnen. Warum melden Sie sich nicht? Muss ich mir Sorgen machen?
Am nächsten Tag
Betreff: Leo????????
Leo, was ist los? Bitte schreiben Sie mir!! Ihre Emmi.
Eine halbe Stunde später
Betreff: An Hr. Rothner
Sehr geehrter Herr Rothner, ich schlage Ihnen einen kleinen Deal vor. Sie müssen mir etwas versprechen. Und ich verspreche Ihnen eine Gegenleistung. Also: Ich verspreche Ihnen, dass ich Ihrer Frau kein Wort von Ihrer E-Mail und deren Hintergründen verrate. Und Sie müssen mir versprechen, dass Sie NIE WIEDER AUCH NUR EINE EINZIGE E-MAIL Ihrer Frau an mich und von mir an Ihre Frau lesen. Ich vertraue Ihnen, dass Sie dieses Versprechen, sofern Sie es abgeben, nicht brechen werden. Und Sie können umgekehrt versichert sein, dass ich zu meinem Wort stehe. Wenn Sie einverstanden sind, schreiben Sie: Ja. Andernfalls werde ich Ihrer Frau jenen reinen Wein einschenken,der im Grunde Ihrer ist und den Sie mir freundlicherweise hinübergeleert haben. Höflicher Gruß, Leo Leike.
Zwei Stunden später
RE:
Ja, Herr Leike, das kann ich Ihnen versprechen. Ich werde keine E-Mail mehr lesen, die nicht für mich bestimmt ist. Ich habe schon viel zu viel Verbotenes gelesen. Gestatten Sie mir die Nachfrage: Werden Sie meine Frau treffen?
Zehn Minuten später
AW:
Herr Rothner, das kann ich Ihnen nicht beantworten. Und selbst wenn ich es könnte, würde ich es nicht tun. Meiner Meinung nach haben Sie mit Ihrem Schreiben an mich einen katastrophalen Fehler begangen, symptomatisch für ein grobes, vermutlich schon jahrelang währendes Versäumnis innerhalb Ihrer Ehe. Sie haben sich an die falsche Adresse
Weitere Kostenlose Bücher