Gut reicht voellig

keine enorm angestrengten Eltern, die krampfhaft versuchen, alles, aber auch wirklich alles richtig zu machen.
    Und hinzu kommt, dass Kinder vor allem authentische Eltern brauchen! Wenn Sie also ständig nach angelesenen Ratgebern erziehen und deren Tipps versuchen, umzusetzen – und daneben aber eigentlich ein ganz anderer Mensch sind: Dann kommt beim Kind eine schräge Doppelbotschaft an und das verwirrt: „Liebe Mama, lieber Papa – was denn nun!?“
    Kinder lernen am besten durch Vorbilder und nicht durch theoretische Konstrukte, Expertenmeinungen oder aktuelle Erziehungstrends. Und außerdem sind Kinder, die sich geliebt und in Sicherheit bei ihren Eltern wissen, deutlich stressresistenter, als wir gemeinhin glauben. Ihr Kind ist nicht gleich nachhaltig traumatisiert, wenn sie es mal anschnauzen. Es ist nicht verdorben fürs Leben, nur weil sie es oft nicht schaffen, konsequent zu sein. Machen Sie bitte Fehler, seien Sie inkonsequent, auch mal überfordertund ratlos! Schließlich können Sie es wieder ausbügeln und es bricht Ihnen auch sicher kein Zacken aus der Krone, wenn Sie sich auch mal entschuldigen bei Ihrem Kind oder Ihrem Kind Ihr Verhalten erklären.
    Meine Cousine ist Lehrerin. Als ihr Sohn noch sehr klein war, erlebte ich, wie sie ihm ihre schlechte Laune oder ihre Ausraster danach in aller Ruhe erklärte und sich schon auch mal entschuldigte. Der Kleine schaute dann ganz nachdenklich und hörte interessiert und ruhig zu. Beim nächsten Mal, als sie überarbeitet durch die sehr anstrengende Klasse, die sie damals hatte, mal wieder lauter wurde, als sie wollte, sah er mich mit ernstem Blick an und meinte: „Sie meint das nicht so, die Kinder in der Schule waren heute sicher mal wieder dolle bös zu Mama!“ Also alles war gut, Mama darf auch mal brüllen, weil es der Kleine nämlich durchaus verstehen kann.
    Ihr Kind kann keine besseren Eltern haben, als Sie es sind! Weil es nur Sie gibt und das ist gut so. Jesper Juul, ein von mir hochgeschätzter dänischer Familientherapeut (alle, wirklich alle seine Bücher sind enorm lesenswert. Ich empfehle ja selten Erziehungsratgeber, wie Sie sich vorstellen können – aber seine Bücher sind top!) riet Eltern einmal in einem Interview mit dem Zeit Magazin (Nr. 9, 25.02.2010) Folgendes:
    Seid nicht so perfektionistisch. Bis man wirklich gut ist im Erziehen, muss man mindestens vier Kinder haben. Aber glücklicherweise brauchen und wollen Kinder keine fix und fertigen Eltern. Kinder haben viel Verständnis für Fehler – sie machen ja selbst den ganzen Tag welche und lernen daraus. Eltern fragen mich ständig: Ist es erlaubt, Kindern gegenüber laut zu werden? Natürlich ist es das, man darfheulen, schreien, alles Mögliche. Kinder brauchen lebende Eltern. Sie brauchen keine Schaufensterpuppen.
    Also: Bleiben Sie Mensch!
Falle 6: Ich muss perfekt sein in Hobby und Sport
    Ich bin immer mal wieder auf Netzwerkveranstaltungen, Abendevents oder interessanten Kongressen und Tagungen. Da kommt man ja in Kaffeepausen oder abends mit vielen neuen Menschen ins Gespräch. Und seit einiger Zeit fällt mir Folgendes auf: Ich höre immer seltener auf die Frage nach ihren Hobbys Menschen zum Beispiel antworten: „Ach, ich les ganz gern und hin und wieder lauf ich ein bisschen durch den Stadtpark.“ Viel öfter höre ich Antworten wie diese:
    Michael L., 42 Jahre, selbstständiger Grafiker
    Hobbys? Nun, ich habe seit Jahren jeweils ein Abo fürs Theater und für die Oper. Dann diskutiere ich gerne zweimal im Monat in unserem Lesekreis über die Neuerscheinungen im Roman- und Philosophiebereich. Und dann bereite ich mich gerade wieder auf den New-York-Marathon vor, in Berlin habe ich dieses Jahr schon teilgenommen.
    Tja. Also wenn ich ehrlich bin, antworte ich persönlich auf die Frage nach meinen Hobbys: Ich koche gerne für Freunde, les ab und zu gerne und mach Yoga. Punkt. Ich koche hin und wieder gern mal für Freunde! Veranstalte also kein wöchentliches 8-Gänge-Menü für 15 Personen. Ich les ganz gern mal ein Buch! Aber auch immer wieder mal gerndie GALA oder BRIGITTE. Und ich mache sehr gerne Yoga. Komm aber manchmal wochenlang nicht dazu. Und manchmal tue ich leidenschaftlich gerne das, was meine beste Freundin stets als die beste aller Möglichkeiten zur Erholung deklariert: Einfach nur sitzen und dumm gucken. Oder wie es der wunderbare Gerhard Polt einmal ausdrückte:
    „Ich sinnlose vor mich hin – und das mit Begeisterung!“
    Kennen Sie noch den