Gute Beziehungen
Mütter, die ihnen derlei Einsichten nahelegten. Also nicht nur meine Mutter verkündete solche Weisheiten, das taten alle Mütter, die ich kannte, vielleicht die Mütter auf der ganzen Welt. Einmal saßen vier oder fünf meiner Freunde und ich an einem heißen Sommernachmittag auf einer schattigen Parkbank und unterhielten uns über die Dinge, die Siebt- oder Achtklässler so interessieren – Fußball, warum Mädchen kichern und was es mit dieser Redensart von der Vorsicht wohl auf sich habe.
Einig waren wir uns, dass es etwas Schlechtes sein müsse, denn wer sollte verhindern wollen, dass etwas Gutes passiert, oder hinterher versuchen es auszubügeln. Allerdings bereitete uns noch etwas anderes Kopfzerbrechen. Wenn Menschen sich bemühen, Unangenehmes zu verhindern, wie kann man dann wissen, ob eine schlechteSache, sagen wir, eine Krankheit, ohne diese Bemühungen eingetreten wäre?
Diese Frage bereitet auch Wissenschaftlern Kopfzerbrechen. Anders als im Fall einer Behandlung gibt es bei einer vorbeugenden Maßnahme keine Möglichkeit, im Einzelfall herauszufinden, ob sie Erfolg gehabt hat oder nicht. Nehmen wir beispielsweise an, Sie wären einer der Londoner, die Snow daran gehindert hat, verseuchtes Wasser zu trinken. Hätten Sie Cholera bekommen, wenn Sie das schlechte Wasser weiterhin getrunken hätten? Wahrscheinlich, vielleicht aber auch nicht. Nicht jeder ist erkrankt. Wir wissen nur eines mit Bestimmtheit: Alle, die ohne Snows Eingreifen Cholera bekommen hätten, blieben verschont.
Cholera ist nur eine der Krankheiten, die durch Vorbeugung besiegt worden sind. Andere sind Pocken, Typhus, Kinderlähmung, Masern, Skorbut, Malaria, Gelbfieber und Pellagra. Wir wissen, dass die Vorbeugungsmaßnahmen Erfolg hatten, weil wir heute von diesen Krankheiten relativ verschont bleiben, und zwar weil man die Ernährungsmängel, Bakterien oder Viren, die sie verursachen, entdeckt, Vitaminbehandlungen oder Impfstoffe entwickelt und sie besonders gefährdeten Bevölkerungsgruppen verabreicht hat.
Vorbeugung ist auch die beste Methode zur Verbesserung des physischen Gesundheitszustands. Wir wissen, dass körperliche Bewegung, cholesterinarme Diät, vitaminreiche Kost, Einschränkung des Tabak- und Alkoholkonsums und eine ausgewogene, nährstoffreiche Ernährung das Immunsystem stärken und Krankheiten vorbeugen.
Mit diesem Buch möchte ich einige der Ergebnisse und Erkenntnisse weitergeben, die unsere Kursleiter und ich im Lauf der letzten vierzig Jahre gewonnen haben – Erkenntnisse über die Vorbeugung von Beziehungsproblemen und über Behandlungsmöglichkeiten in den Fällen,in denen die Beziehungen bereits Schaden genommen haben. Auf der ganzen Welt haben wir Trainings-Workshops für Tausende von Menschen durchgeführt und festgestellt, dass sich Beziehungen nur geringfügig unterscheiden. Beispielsweise sind in allen Ländern Beziehungen überwiegend hierarchisch und die Verlierer in diesen Beziehungen sind auf dem einen Kontinent ebenso nachtragend wie auf dem anderen. Wenn etwas schiefgeht, ist man in Europa und Asien mit Schuldzuweisungen genauso rasch zur Hand wie in Amerika. Und es scheint überall etwas schiefzugehen.
Ich möchte auf einfache und deutliche Weise vermitteln, dass wir vielen der geistig-seelischen Störungen in unserer Gesellschaft vorbeugen können, indem wir Beziehungshierarchien abflachen oder beseitigen.
In den folgenden Kapiteln werde ich genau das tun: Ich werde Ihnen einen einfachen und deutlichen Weg zu besserer körperlicher und seelischer Gesundheit zeigen, wobei ich Sie mit dem System vertraut mache, das man heute Gordon-Modell oder Gordon-Beziehungsmodell nennt – ein Instrumentarium, das jeder lernen und zur Verbesserung seiner Beziehungen verwenden kann.
4. KAPITEL
Was Macht in Beziehungen anrichtet
Befriedigende, intakte Beziehungen werden erheblich erschwert durch starre, festgefahrene Organisationsformen, die wir fast überall antreffen, obwohl es durchaus modernere Organisationsformen gibt, die diesen wahrscheinlich weit überlegen sind.
Wie sind die herkömmlichen Organisationsformen entstanden? Vor mehr als zweitausend Jahren entwickelten die Römer ein Organisationssystem, eine Befehls- und Herrschaftshierarchie, die wie eine Pyramide aufgebaut war. Als Rom vom Stadtstaat zum Weltreich aufstieg, erwies es sich als immer unregierbarer, weil eine Nachricht Wochen oder Monate brauchte, um die äußeren Provinzen zu erreichen, und dann noch einmal Wochen, bis die
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