Gute Leute: Roman (German Edition)
dem Geld aus dem Staub machen?« Er zog ein Couvert aus der Innentasche seines Smokings und reichte es Thomas mit großer Geste. »Genau eintausend Reichsmark, zwischen dem vierzehnten und dem sechzehnten, was für ein beneidenswertes Gefühl für Geschichte! Du hast es uns allen gezeigt.«
Thomas nahm den Umschlag in Empfang. »Danke«, sagte er. Aus dem Augenwinkel bemerkte er einige Offiziere, die mit einem Fangseil spielten. In einer Entfernung von etwa fünf Metern stand ein kleinwüchsiger Mann mit Hut und spielte auf seinem Akkordeon ein polnisches Volkslied. Einer der Offizier nahm die Schlinge, schwang sie, zielte und warf sie unter dem johlenden Gelächter seiner Kumpane nach dem Mann. Die Schlinge traf den Akkordeonspieler, legte sich jedoch nicht um ihn. Er erstarrte, bückte sich und ordnete das Seil zu seinen Füßen, richtete sich dann wieder auf und spielte weiter.
»Gehört das zum künstlerischen Programm?«, wandte sich Thomas an Wolfgang.
»Wo denkst du hin«, rief Wolfgang ungehalten. »Ich kenne die nicht mal, die sind einfach hier aufgekreuzt. Offenbar sind dem Gerücht über meine Pariser Sause Flügel gewachsen. Das künstlerische Programm dieses Abends wird von unserer guten alten deutschen Tradition das Beste bieten.«
Thomas schwieg und hoffte, dass der junge Mann rasch verschwände und er sich endlich in seine Wohnung zurückziehen konnte. Vielleicht würde er überhaupt nicht zu der Feier zurückkehren. Wolfgang wandte sich einigermaßen enttäuscht von ihm ab, und Thomas überquerte den Hof. Zu spät gewahrte er, dass er geradewegs auf Weller zusteuerte, der in Gesellschaft eines bebrillten, äußerst breitschultrigen jungen Mannes war.
»Heiselberg!«, rief Weller und trat auf ihn zu. »Ich möchte dir Raul von Thadden vorstellen, einen Studienfreund aus Heidelberg, von dessen Examensnoten ich immer nur träumen konnte.«
Der Mann streckte Thomas die Hand hin: »Es ist mir eine große Ehre, Ihre Bekanntschaft zu machen.«
Seine angenehme Baritonstimme erinnerte Thomas an den Radiosprecher Hans Fritzsche, und er sah dem Mann in die Augen. Sein distinguiertes Auftreten und das mit Brillantine streng zurückfrisierte Haar, die akkurat sitzende Krawatte und das mit gekonnter Nachlässigkeit über der Schulter hängende Sakko weckten bei ihm allerdings Neid und Unmut. Wenn man ihn nur endlich von hier fort ließe, würde er schon bald wie jener aussehen, ja sogar besser noch.
»Du siehst ein wenig müde aus, Heiselberg«, stellte Weller fest. »Ein harter Tag im Büro?«
Er wollte sich empfehlen und sich zurückziehen, aber von Thadden redete gleich drauflos: »In der Vergangenheit war ich Anhänger der Sozialdemokratie, und als mein Cousin Eberhard von Thadden sich der Nationalsozialistischen Partei anschloss, habe ich eine Weile nicht mit ihm gesprochen. Aber heute …« Er sprach wie jemand, der es gewohnt war, dass man ihm gehorchte und seinen Stammbaum kannte, wenn nicht, war dies ein Zeichen, dass man ungebildet und ein Flegel war. Ungebremst fuhr er fort: »Ich habe heute mit Georg den Tag hier auf dem Hof verbracht, wir haben bei den Vorbereitungen für die Feier geholfen, und als wir mit den slawischen Arbeitern sprachen, habe ich plötzlich verstanden, wie der Nationalsozialismus mit seinem Namen Ernst macht. Unter ihnen waren ein Prinz, der Sohn einer reichen Pelzhändlerfamilie, der Sohn eines Professorenkollegen von der Universität und daneben ein Straßenbahnfahrer, ein Fischhändler – und alle bekommen denselben Lohn. Die Sozialdemokraten haben stets von Gleichheit palavert, aber hier habt ihr sie, wirklich und wahrhaftige Gleichheit! Mein Sohn schreibt mir ganz Ähnliches über seine Einheit bei der Wehrmacht.«
»Nicht überall will mir eine Aufhebung der gesellschaftlichen Klassen eine gute Idee erscheinen«, Weller schüttelte den Kopf.
Diesmal pflichtete ihm Thomas im stillen bei: Von Thaddens sozialistisches Geschwätz klang ihm kindisch und dümmlich.
»Georg neigte schon immer zu konservativen Ansichten«, verkündete von Thadden. »An der Universität haben wir ihn ›von Gerlach‹ gerufen. Mich würde die Meinung von Herrn Heiselberg interessieren«, wandte er sich plötzlich an Thomas. »Bei meiner Lektüre des Modells ist es mir nicht gelungen, mir über Ihre Weltanschauung klarzuwerden.«
»Das Modell bin ich«, gab Thomas zurück. »Und was an ihm nicht ersichtlich wird, ist es offenbar auch an mir nicht.«
»Wann sind Sie eigentlich der
Weitere Kostenlose Bücher