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Gute Leute: Roman (German Edition)

Gute Leute: Roman (German Edition)

Titel: Gute Leute: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nir Baram
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prüfen, ob der Spott nur seine Kameraden beeindrucken sollte oder ob er tatsächlich gewillt war, ihnen zu helfen. Danach entfernten sie sich langsam.
    Gerade kündigte Wolfgang von der Bühne einen Coupletwettstreit auf die Besetzung von Paris an. »Und es wurde vereinbart«, setzte er noch hinzu, »mit Genehmigung des Herrn Propagandaministers Dr. Goebbels, dass das gelungenste Couplet bei der großen deutschen Kunstausstellung zur Aufführung gebracht wird.« Nach dem obligatorischen Beifall benannte Wolfgang diejenigen, die dem »Preisgericht« angehören sollten, darunter – selbstverständlich – er selbst, Albert Kresling, ein Stephan Krüger, der in Lyrik promoviert hatte, Georg Weller als Vertreter des Distriktgouverneurs und »als weiterer Vertreter des Propagandaministeriums Hermann Kritzinger vom Büro des Höheren SS- und Polizeiführers im Generalgouvernement«.
    Thomas hatte das Gefühl, als würden von allen Seiten Blicke auf ihn abgefeuert, die sich daran ergötzten, ihn in der Falle zappeln zu sehen. Er löste sich von seinem Platz, vor Augen ein Bild – er reißt Weller in Stücke. Verstört über die Bestialität dieser Vision bemühte er sich, sie zu vertreiben, doch es gelang ihm nur, Weller durch Wolfgang zu ersetzen, durch Kresling oder diesen verfluchten Bariton, der gerade anfing zu singen – nicht aber durch Hermann. Nicht einmal in seiner Vorstellung wagte er es, die Hand gegen ihn zu heben.
    Oder sollte er am Ende nur ein weiteres Mal ein Opfer seines Verfolgungswahns sein, bildete er sich wieder einmal ein – wie Erika Gelber ihn immer zu necken pflegte –, dass die ganze Welt sich gegen ihn verschworen hatte, dass alle mit seinem Aufstieg und seinem Fall befasst waren?
    Er näherte sich der Treppe und drängte sich durch die Menge, »Herrschaften, Entschuldigung bitte«, rief er und setzte ein freundliches Lächeln auf, hoffte, dass ihm wenigstens dieses noch gelang, arbeitete sich Stufe um Stufe nach oben, von Rufen des Erstaunens und der Empörung begleitet.
    »Herrschaften, bitte lassen Sie mich durch, es fehlen für den letzten Teil der Aufführung noch einige Requisiten aus meiner Wohnung.« Erleichtert stieß er die blaue Tür auf, stürzte in den Salon, und alles begann sich zu drehen: Schatten tanzten über die wogenden Vorhänge, ein breiter Lichtstreifen lag auf dem Fußboden des Zimmers, zog seine Schleppe über seinen Körper und strebte weiter, um sich über die Statue zu ergießen, die an der Zimmerwand hinter ihm stand. Seine Nervosität wuchs. Wie lächerlich erschien ihm plötzlich der Wunsch, nach Hause zurückzukehren. Welches Zuhause denn? Es gab nichts, was ihn mit dieser polnischen Wohnung verbunden hätte, nicht ein Ding fand sich hier, das ihm gehörte, nicht einmal das Gemälde der polnischen Soldaten, die den gescheiterten Aufstand von 1830 beklagen, hatte er von der Wand genommen.
    Er besann sich und begann, die Wohnung zu untersuchen. Alles schien an seinem Platz. Auch in seinem Schlafzimmer, in seinen Schubladen. Er zog sich aus und legte sich ins Bett, deckte sich zu und drückte seine Wange in den weichen Stoff. Von unten war gedämpft fröhliches Klavierspiel zu hören, um das sich sogleich die Baritonstimme von Thaddens wand: »Ade! du muntre, du fröhliche Stadt, ade! Schon scharret mein Rösslein mit lustigem Fuß; Jetzt nimm noch den letzten, den scheidenden Gruß. Du hast mich wohl niemals noch traurig gesehn, so kann es auch jetzt nicht beim Abschied geschehn.« Ausgerechnet dieses Lied kannte er, »Abschied« aus Schuberts »Schwanengesang«.
    Eine Wahl, die seine Feinde gewiss amüsiert hatte.
    ***
    Viermal klopfte es an der Tür, mit zunehmender Heftigkeit. Er schreckte aus seinem unruhigen Schlaf hoch und zog sich die Decke vom Gesicht. Als Kinder hatte seine Mutter ihn regelmäßig ermahnt: »Sag deinem Freund, zweimal klopfen genügt vollkommen.« Aber Thomas hatte es ihm nie gesagt. Hatte sie es getan? Eher nicht. Seine Mutter war seinen Freunden immer freundlich begegnet, sogar Hermann. Aus dem Kleiderschrank zog er einen schwarzen Pullover und hielt das Gesicht unter kaltes Wasser. Wieder klopfte es viermal.
    Vor ihm stand Hermann in gebügelter Ausgehuniform mit dem Eisernen Kreuz 2. Klasse. Wann hatte dieser Schurke Zeit gefunden, zum Helden zu werden?
    »Feierst du nicht?«, fragte Hermann. »Wir haben Paris eingenommen.«
    »Ich habe genug gefeiert.«
    »Du siehst müde aus. Es heißt, du arbeitest hart«, sagte

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