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Gute Leute: Roman (German Edition)

Gute Leute: Roman (German Edition)

Titel: Gute Leute: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nir Baram
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beunruhigt durch den geänderten Plan, und als ihr der Gedanke kam, er oder seine Leute könnten ihr etwas antun, verwarf sie ihn sogleich wieder: Er würde nicht erlauben, dass ihr irgendetwas zustieße. Die Limousine verlangsamte jetzt, bog in eine schmalere Straße ab und glitt auf einen Schotterplatz. Etliche schwarze Wagen standen in akkuraten Reihen geparkt, mit schmalen Durchgängen dazwischen. Sie stieg aus und ging hinter den beiden Männern her, achtete darauf, nicht zu dicht zu ihnen aufzuschließen. Sie nahmen die steil ansteigende Straße, und als sie zurück auf den Parkplatz schaute – einer der düstersten Flecken Erde, den sie je gesehen hatte –, wurde sie an jene Visionen aus der Kindheit erinnert, mit denen ihre Mutter ihr immer hatte Angst einjagen wollen: Die apokalyptischen Reiter in ihren schwarzen Gewändern sind zu einem letzten Appell angetreten, gleich werden sie sich mit ihren Bögen und Schwertern auf die Menschheit stürzen, zuvor jedoch werden sie sich eines zwölfjährigen Mädchens annehmen, das Maxim Adamowitsch Podolski erlaubt, seine noch kaum vorhandenen Brüste zu befingern.
    Sie schleppte sich hinter den beiden Agenten bergan, spürte ein peinigendes Jucken an der Kopfhaut, schob einen Finger unter das Tuch und verfluchte insgeheim diese Schufte. Ein Luftwirbel, der sich zwischen den Spitzkehren der Straße verborgen zu haben schien, warf ihr einen Windstoß entgegen. Wie konnte es sein, dass die beiden Agenten dabei in so straffer Haltung ausschritten? Ihr Rücken und ihre Unterschenkel schmerzten, aber sie hielt mit ihnen Schritt.
    »Genossin Weißberg, eine letzte Anstrengung noch«, rief ihr der Agent zu, der den Wagen gesteuert hatte.
    Er stand hinter einer scharfen Kehre, fast wäre sie mit ihm zusammengestoßen. Der Wollmantel lag wie eine Robe um seine Schultern. Hinter ihm erhob sich ein mächtiges Gebäude, dessen beleuchtete Fenster Lichtpentagone auf den Vorplatz warfen.
    Die plötzliche Nähe zu ihm ließ sie zurückfahren. Er legte eine Hand um ihre Hüfte, sie stieß sie weg, doch sein anderer Arm hatte bereits ihren Körper umfangen und zog sie, begleitet von einem fröhlichen Zwinkern, an sich.
    »Alexandra Andrejewna«, lachte Maxim Adamowitsch Podolski, »geben Sie bitte Acht, dass Sie nicht fallen und sich verletzen. Legionen von Männern in dieser Stadt würden auf die Straße gehen, um sich an uns zu rächen, falls wir Sie verlieren sollten.«
    »Seien Sie gegrüßt, Genosse Podolski«, sagte sie. Es war klar, dass sie ihm vor seinen Arbeitskollegen in aller Form begegnen musste.
    »Genossin Weißberg«, rief Maxim Podolski mit offizieller Stimme und näherte seine Lippen ihrem Ohr. »Es tut mir leid, dass ich Sie hierher bemühen musste. An diesem Wochenende findet hier eine Zusammenkunft unserer Leute aus der gesamten Oblast statt. Wie Sie sehen, ist dies ein angenehmer und stiller Ort, und ausreichend Schlafzimmer gibt es auch. Ihrer letzten Adresse habe ich entnommen, dass unser Treffen keinen Aufschub duldet.«
    »Das ist richtig«, sagte sie und nickte.
    »Ach ja, es betrübt mich sehr, dass Sie sich zu Fuß hier hinauf bemühen mussten. Das entsprach nicht den Anweisungen. Ich hatte Sie eigentlich unten treffen wollen, um einen kleinen Spaziergang zu machen.«
    Er lügt, sagte sie sich. Er hatte hinter der Spitzkehre gewartet, und die Befehle waren exakt so gewesen.
    Podolski reichte ihr die Hand mit einer pfauenhaften Geste, die er sich wohl aus Handbüchern für adelige Stutzer abgeschaut hatte. Ob er jemals einen Gedanken daran verschwendete, warum es ausgerechnet diese Geste war, die zu imitieren er sich entschieden hatte? Denn schließlich war Maxim Podolski ein Mensch von geballter Kraft, ein Mensch, der von dem Bewusstsein durchdrungen war, dass seine Taten den edelsten Motiven entsprangen, dem ehrlichen und reinen Wunsch, seiner Umwelt Gutes zu tun. »Ich bin ein Teil von jener Kraft, die stets das Böse will und stets das Gute schafft«, hatte er einmal Mephistopheles zitiert. Das war vor vier Jahren gewesen, am ersten Tag des letzten Schuljahres. Jeder Schüler war aufgefordert, ein Zitat vorzutragen, das ihn selbst charakterisieren sollte. Sie hatte jene Zeilen von Nadjeschda gewählt: »Wir haben den Tod studiert / nicht den, der nicht der unsere / nach dem der Sinn uns nicht steht / da wir keine Philosophen.«
    »Deine Mutter ist eine kluge Frau«, sagte Podolski. Sie schritten die Straße entlang, entzogen sich dem

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