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Gute Leute: Roman (German Edition)

Gute Leute: Roman (German Edition)

Titel: Gute Leute: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nir Baram
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speziell deinen Vater gemeint, sondern Leute seines Schlages allgemein. Solche, die Pjatakow verehrt und mit ihm zusammengearbeitet haben«, lachte Podolski. »Wirklich, liebste Sascha, ich bin ein bisschen gekränkt ob der Frage. Verstehst du nicht, dass ich nur dein Bestes will? Und begreifst du nicht, dass ich dir gegenüber eine Aufrichtigkeit zeige, die nur gegenüber Menschen möglich ist, die auf dem Index stehen, denen niemand Glauben schenken würde? Es ist durchaus möglich, dass Pjatakow die Belüftung der Kohlegruben nicht vorsätzlich sabotiert hat, um den Tod der Bergleute herbeizuführen und Hass gegen die Regierung zu wecken. Ich hege auch Zweifel daran, dass Muralow sich tatsächlich einer Null wie Arnold bedient hätte, um unseren geschätzten Kommissar des Äußeren zu liquidieren. Aber Pjatakow hat viele Ansprüche gestellt, weshalb es naheliegend erscheint, dass ihm eine verbrecherische Eingebung gekommen sein mag, und auch Muralow hat zuviel geredet. Ich habe Geschichte studiert. Ideologien und Moden kommen und gehen, Menschen haben schon immer an bestimmte Dinge geglaubt und hinterher an vollkommen andere, das einzige, was konstant bleibt, ist die erschreckende Elastizität unserer Seele. Sascha, die Menschen sind armselige Kreaturen, immer wollen sie etwas verändern und Verrat üben, setzen Phantastereien von einem besseren Regime in die Welt und wollen diese dann umsetzen. Aber sie sollten stets in Erinnerung behalten, dass kein Ort finster genug ist, als dass wir sie dort nicht sähen.«
    Sie lehnte sich erschöpft an einen Wagen. Er spähte abermals durch die hintere Seitenscheibe einer Limousine. Diesmal presste er einen Fluch zwischen den Zähnen hervor. Wenn etwas geschah, das Podolski vorhergesehen hatte, fluchte er. Sogleich verschwand er im Wageninneren, und als er wieder neben ihr stand, hielt er eine Bierflasche in der Hand. Sascha schnappte sie ihm weg. Diese Reaktion war stärker als jede bewusste Entscheidung. Ein festes Ritual zwischen ihnen, dessen Nichtbeachtung Verrat an allem bedeutet hätte, was sie miteinander verband.
    »All das ist hinlänglich bekannt«, murrte sie. Wie viele solche Nächte hatten sie gemeinsam verbracht? Waren auf Mauern in den Parks geklettert, hatten sich hinter den Sperrmauern der Kanäle am Fluss verborgen, waren durch die Straßen der Stadt gestrichen, hatten von den Ländern jenseits der Ostsee geträumt. In den Jahren auf dem Gymnasium hatten sie geglaubt, dass nichts sie jemals trennen würde.
    Podolski riss ein Streichholz an und schaute konzentriert in das schnell verlöschende Feuer. Sie betrachtete sein von der kleinen Flamme beschienenes Gesicht. Es war ein wenig hagerer geworden, was genügte, um die fein geschwungenen Linien seiner Wangenknochen zu betonen. Sie wusste, dass alle diese Phrasen über Macht und Angst nur Lippenbekenntnisse waren. Maxim Podolski war kein Mensch, den die Macht betörte. Er hatte genug davon eingeatmet, in den Tagen, in denen sein Vater zu den Köpfen der Tscheka gehört hatte und in einem Dienstwagen mit Fahrer umhergefahren war: Einladungen in die Datscha am Meer, stets die besten Plätze im Theater, teure Geschenke zu Neujahr, eine großzügig geschnittene Vierzimmerwohnung, Privilegien aller Art. Im Hause Podolski bekamen die Kinder Delikatessen vorgesetzt, von denen man anderswo nicht einmal träumte. Doch dann war die Feier vorbei. Die alte Garde der Tscheka wurde aus ihren Stellungen entfernt, wurde aller möglichen Vergehen beschuldigt, einige schickte man in die Verbannung, andere wurden liquidiert.
    Maxims Vater wurde entlassen. Augenscheinlich hatte man Milde walten lassen. Danach saß er jahrelang zu Hause, wartete darauf, ob man ihn verklagen oder wieder in den Dienst aufnehmen würde, und schrieb Beschwerdebriefe an Behörden und Instanzen. In den letzten Jahren schrieben hier alle ständig Briefe. Millionen von Briefen überschwemmten das Land. Die Beschuldigten schrieben, Anverwandte und deren Verwandte schrieben, wohlmeinende Bürger und Denunzianten schrieben. Aus jedem Wohnhaus, jedem Gefängnis und jedem Arbeitslager, aus allen Ecken und Enden des Landes kamen Züge voller Papier. Schließlich waren die Podolskis genötigt, aus ihrer Wohnung auszuziehen und in einer Gemeinschaftsbehausung unterzukommen. Maxims Vater hatte ihn manchmal von der Schule abgeholt. Er pflegte am Tor zu stehen, in einem eleganten Wollmantel, das Haar sorgfältig frisiert. Auch nachdem er seine Anstellung verloren

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