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Gute Leute: Roman (German Edition)

Gute Leute: Roman (German Edition)

Titel: Gute Leute: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nir Baram
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sie mit dem Aufräumen der Wohnung. Das dralle Mädchen nahm den Auftrag an, ohne zuvor die Eltern um Erlaubnis zu bitten, »aus Verehrung für Frau Heiselberg«. Thomas bezog ein Hotel in der Nähe der Geschäftsräume von Milton, und als er zwei Wochen später nach Hause zurückkehrte, war von jener Nacht nicht einmal mehr eine Andeutung geblieben – abgesehen von dem klaffenden Loch, das sich im Zimmer seiner Mutter auftat, dort, wo zuvor das Fenster gewesen war. Er hatte Klarissa Order erteilt, das Fenster nicht reparieren zu lassen, und sie hatte diese Anweisung widerwillig befolgt.
    Von offizieller Seite hatte sich niemand wegen der Ereignisse jener Nacht an ihn gewandt. An der Trauerfeier nahmen etwa hundert Bekannte und die gesamte Belegschaft von Milton teil. Auch Kunden, Vertreter verschiedener Regierungsstellen und des »Vierjahresplans«, Angestellte aus dem Berliner Rathaus, von der französischen und italienischen Botschaft waren zugegen, ebenso Georg Weller, der Beamte vom Auswärtigen Amt, und zwei Offiziere des SD, die mit Carlson Mailer zusammenarbeiteten. Auch Rudolf Schumacher erschien und überreichte ein Telegramm von Walther Funk, dem Wirtschaftsminister. Schumacher hatte gewiss schon Gelegenheit gefunden, sich in den Ohren des neuen Ministers seiner Freundschaft mit der Führungsspitze von Milton zu rühmen, dachte Thomas. Der Mann war ein Amateur. Die Methode, mit der Menschen wie er im Leben vorankamen, hätte Thomas’ Vater verächtlich als »Weiterwursteln« bezeichnet.
    Die demonstrative Anwesenheit von Regierungsvertretern – Thomas zählte neunzehn – schwächte seine Befürchtungen ein wenig ab. Offenbar war beschlossen worden, jede Erinnerung an den Zwischenfall zu tilgen. Er hatte auch gehört, dass die Kritik der Auslandspresse an den Übergriffen gegen die Juden die Regierung sehr beunruhigt hatte. Worte wie »überflüssig« und »dämlich« waren zu hören gewesen, und man behauptete sogar, einige hätten hinter dem Rücken des Führers agiert und das Vertrauen missbraucht, das er in sie gesetzt habe. Doch dessen ungeachtet berichtete Weller, der Thomas ein paar Wochen nach der Beisetzung anrief und sich nach seinem Befinden erkundigte, man habe von Ribbentrop im Dezember in Paris einen glänzenden Empfang bereitet. Der französische Außenminister habe einige abfällige Bemerkungen über die Juden gemacht, ja, man sei letztlich übereingekommen, dass es sich nur um vorübergehende Turbulenzen handle. Trotz allem seien bei den Übergriffen ja nur sehr wenige Juden zu Tode gekommen. Weller, der zu Thomas’ Überraschung alle Einzelheiten des Zwischenfalls in seiner Wohnung kannte, war überzeugt, dass keine Schritte gegen ihn eingeleitet würden: Im Auswärtigen Amt würde man niemandem gestatten, sich an einem Zögling von Jack Fisk schadlos zu halten. Wie viele solcher Freunde wie Fisk waren Deutschland in den Vereinigten Staaten denn noch geblieben?
    Die einzige Überraschung für Thomas war die Abwesenheit seiner geschiedenen Frau bei der Beisetzung gewesen – wenn denn ein ungehöriges Betragen ihrerseits als Überraschung zu bezeichnen war. Dennoch hatte er erwartet, dass sie kommen würde, und sei es nur, um ein für alle Mal Abschied zu nehmen von der Frau, die sie so verabscheut hatte. Ihr Kondolenzschreiben, das erst einige Wochen später im Büro von Milton eintraf, war ebenfalls nicht als herzerwärmend zu bezeichnen. Sie hatten sich seit über zehn Jahren nicht mehr gesehen, und nachdem Else ein zweites Mal geheiratet hatte, war der lose Briefkontakt gänzlich eingeschlafen. So hatte sie ihrem einstigen Gatten auch nicht den Satz erspart: »Ich hoffe, neben aller Trauer wird dies auch ein Tag der Befreiung für dich sein.«
    »Wenn man Friedrich Nietzsche in einem Café neben ihr Platz nehmen ließe und auf ihrer anderen Seite irgendein Dummchen, das in Hollywood eine Verkäuferin gespielt hat, würde Else dem Philosophen die kalte Schulter zeigen«, hatte seine Mutter gesagt, als sie ihr das erste Mal begegnet war.
    Niemand von den Trauergästen hatte die furchtbare Nacht auch nur mit einem Wort erwähnt. »Eine verfluchte Krankheit«, kollerte der Offizier vom SD. In der Tat, pflichtete Thomas ihm insgeheim bei, seine Mutter war an ihrer Krankheit gestorben. Niemand hatte ihr ein Haar gekrümmt. Zwar konnte es keinen Zweifel geben, dass das gewaltsame Eindringen in ihre Wohnung sie in höchstem Maße verängstigt und damit ihrem Tod Vorschub geleistet

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