Gute Leute: Roman (German Edition)
ihr Anliegen unbotmäßig erscheinen.
Dann fragte sie unumwunden, ob er ihr, ihrem Mann und ihren beiden Kindern helfen könne, ein Einreisevisum für ein anderes Land zu beschaffen. Sie seien bei der Gestapo denunziert worden und würden seither drangsaliert.
Insgeheim dankte er ihr, dass sie die Namen der Kinder nicht ausgesprochen hatte. So hatte sie ihm wenigstens diesen Kitsch erspart. Auch hatte sie nicht ausdrücklich »für die Vereinigten Staaten« gesagt, obgleich sie beide wussten, dass dies das Land war, das sie meinte – ein sinnloser Versuch zu zeigen, dass sie keinen Gebrauch von den Informationen machte, die sie bei den Sitzungen erhalten hatte. Vielleicht sollte er ihr einfach Italien vorschlagen, schoss ihm eine diabolische Idee durch den Kopf. Wenn es einen Menschen gab, der wirklich in der Lage war, ihr zu helfen, dann war es Frederico, der Mann, der Partys mit dem Außenminister, dem Grafen Ciano, feierte.
»Merkwürdig, dass Sie sich ausgerechnet an mich wenden, Frau Gelber«, sagte er. »Schließlich gibt es sowohl in Europa als auch in den Vereinigten Staaten Psychoanalytische Gesellschaften, in denen Juden den Ton angeben. Können die Ihnen nicht helfen?«
Als Antwort schilderte sie ihm ihre missliche Lage: Zu Beginn der dreißiger Jahre hatten einige Therapeuten vom Berliner Psychoanalytischen Institut ihr helfen wollen, in die Vereinigten Staaten zu immigrieren, aber sie und ihr Mann hätten sich damals entschieden, in Deutschland zu bleiben. Im vergangenen Jahr dann, als auch Dutzende von jüdischen Analytikern aus Österreich sich an dem Wettlauf um ein Einreisevisum beteiligten, war klar geworden, dass ihre Aussichten gleich Null waren: Die Psychoanalytische Gesellschaft in Großbritannien hatte ihre Bewerbung abgelehnt, aus New York war noch immer keine Antwort eingetroffen, aber Gerüchten zufolge formierte sich unter den Analytikern in Amerika wachsender Widerstand gegen die Einwanderung, und auch ihre wenigen Freunde in den Vereinigten Staaten hätten noch nichts erreicht.
»Ich verstehe.« Er nickte. »Sie bringen mich da in eine verzwickte Lage. Wir reden hier über ein ungesetzliches Vorgehen.«
»Es tut mir leid.«
Sicher erschien er jetzt in ihren Augen wie ein verlogener Frömmler. Aber es hatte ihm schon immer gefallen, sich zunächst für einen kurzen Augenblick in ein möglichst unvorteilhaftes Licht zu setzen. Als Kind etwa, wenn er mit einem guten Zeugnis von der Schule heimkam, hatte er seiner Mutter alle möglichen Räuberpistolen über schlechte Noten und ständige Raufereien aufgetischt, nur um zu sehen, wie sich die Furchen der Enttäuschung in ihre Stirn gruben. Und dann hatte er das Zeugnis hervorgezogen. Erika hatte ihn einmal gefragt, warum er das getan habe, und er hatte erwidert, das passiere ihm zuweilen immer noch, zum Beispiel habe er Schumacher kürzlich sogar erzählt, Milton übe gegen Bezahlung eine beratende Funktion bei dem Euthanasieprogramm aus. »Diese degenerierte Spezies gehört doch ausgerottet, nicht wahr?«
Es fasziniere ihn eben, hatte er ihr erklärt, dass Menschen, ja sogar die eigene Mutter, solange man nur entschieden genug auftrat, sogleich die Behauptungen glaubten, die man ihnen verkaufte, selbst wenn sie in Widerspruch standen zur eigenen Persönlichkeit und allem, was man in der Vergangenheit getan hatte.
»Seien Sie nicht pikiert, es ist doch allemal klar, dass ich Ihnen helfen werde«, sagte er schließlich zu Erika Gelber und erhob sich von seinem Sofa zum Zeichen, dass ihr Treffen beendet war. »Falls ich Erfolg haben werde, dann, weil es irgendwo ein Gesetz gibt – oder besser: nicht gibt, – das sich nutzen lässt.«
Am nächsten Morgen traf er sich im Büro mit Carlson Mailer und Frau Günther. Einmal in der Woche konferierten sie, um den Fortgang der Verhandlungen mit dem Bankhaus Bamberburg zu erörtern. Allen war klar, dass sämtliche Regierungsstellen Order hatten, Juden aus der deutschen Wirtschaft zu entfernen. Wohlthat hatte Thomas gesagt, Bamberburg sei im Grunde genommen das letzte der großen jüdischen Bankhäuser, das noch nicht in deutsche Hände überführt worden sei. Solange Schacht Wirtschaftsminister gewesen sei, habe er es geschützt, und auch nachdem er seinen Hut hatte nehmen müssen, hätten sie es mit allen möglichen Manövern noch geschafft, die Sache hinauszuzögern. Doch jetzt sei im Rahmen des Vierjahresplanes beschlossen worden, der Affäre ein Ende zu machen.
Frau Günther, die in
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