Gute liegt so nah...
gewesen wäre! Wäre ich heute vielleicht mit einem unvollkommenen, aber dafür realen Mann verheiratet? In den letzten sechs Monaten hatte ich alles daran gesetzt, um Joe zu bekommen. Nur gab es den Joe, den ich wollte, überhaupt nicht. Ich war wie ein Teenager gewesen, der einen Filmstar oder Sänger anhimmelt und einem hübschen Gesicht alle möglichen guten Eigenschaften zuschreibt. „Und dann, eines Tages, werden sich unsere Blicke während eines Konzerts begegnen, und in diesem Moment werden wir wissen, dass wir füreinander geschaffen sind …“
Und was war mit dem echten Joe? Was sollte ich nun zu ihm sagen? „Hey, sorry, aber ich hatte dich nur erfunden. Wir beenden unsere Beziehung deshalb auch gar nicht wirklich, weil die Person, für die ich dich gehalten habe, außerhalb meines Kopfes nicht existiert. Schönen Tag noch!“
Als der Morgen auf Cape Cod endlich dämmerte, setzte ich mich im Bett auf. Mein Kopf tat noch immer weh, meine Augen waren von zu vielen Tränen verklebt, und der Rest meines Körpers schmerzte wie bei einer Grippe. Die hochhackigen Pumps, die ich gestern Abend getragen hatte, sorgten nachträglich für Wadenkrämpfe, und meine Haare waren ganz klebrig von dem Zeug, mit dem ich sie zu bändigen versucht hatte.
Ich trank etwas Orangensaft und zog meine Sportsachen für eine Joggingrunde an, um einen klaren Kopf zu bekommen. Ich drehte meinen iPod laut und verfiel in meinen üblichen Trab, begleitet von Digger, dessen Freude über den Auslauf durch meine schlechte Stimmung nicht getrübt wurde. Meine Schultern waren verkrampft, mir war ein bisschen übel und meine Waden brannten. Das war mir egal, ja es gefiel mir sogar, denn es lenkte mich von meiner Traurigkeit ab.
Wieder zu Hause duschte ich, putzte mir die Zähne und setzte mich eine Weile auf die Veranda. Ich fühlte mich leer und dumm. Digger leckte mir das Gesicht, aber ich nahm es kaum wahr. Irgendwann klingelte das Telefon, und da ich glaubte, es sei Sam, ging ich dran.
„Millie, hier ist Joe.“
Das flaue Gefühl in meinem Magen verstärkte sich abrupt um ein Vielfaches. „Oh, hallo, Joe.“
„Ist alles in Ordnung mit dir?“ Er klang tatsächlich ein wenig besorgt.
„Ja, sicher.“
„Bist du noch sauer auf mich?“
Ich seufzte. „Vielleicht solltest du lieber vorbeikommen.“
„Jetzt?“
„Ja, jetzt wäre nicht schlecht.“
Als Joe bei mir eintraf, sah ich, dass er seinen Hund mitgebracht hatte. Tripod sprang aus dem Pick-up und fing gleich an, mit Digger in meinem Garten zu toben, so wie ich es mir immer vorgestellt hatte. In mir zog sich alles zusammen, denn meine alten Pläne kamen mir inzwischen dumm und oberflächlich vor.
Joe starrte auf meinen Küchentisch und lehnte sowohl ein Glas Wasser als auch einen Kaffee ab. Ich setzte mich ihm gegenüber, und er hob den Kopf und sah mir ins Gesicht.
„Darf ich zuerst etwas sagen?“, bat er.
„Natürlich.“
„Na schön. Ich weiß, dass ich gestern Abend Mist gebaut habe, und verstehe, weshalb du so wütend auf mich bist. Was ich getan habe, war sehr dumm von mir. Ich dachte einfach an meine Zeit als Highschool-Kid und was für einen Spaß wir dabei hatten, Alkohol auf die Party zu schmuggeln. Ich glaube, ich wollte mir bloß cool vorkommen. Ich bin nicht damit klargekommen, meine alte Schule wiederzusehen und von allen Mr Carpenter genannt zu werden. Auf einmal kam ich mir so alt vor. Verstehst du, was ich meine?“
Ich schüttelte den Kopf.
„Na ja, es war dumm, und es tut mir leid. Bitte sei nicht mehr sauer auf mich.“
Ich schluckte. „Ehrlich gesagt geht es nicht nur um den gestrigen Abend.“
„Nein?“ Er wirkte verwirrt.
Mit dem Zeigefinger zeichnete ich das Muster meiner Tischdecke nach und war froh darüber, Joe so nicht ansehen zu müssen.
„Es ist so“, begann ich beinah flüsternd, weil meine Kehle wie zugeschnürt war. Er lehnte sich prompt vor, um mich besser hören zu können. „Ich habe nachgedacht und bin zu der Erkenntnis gelangt, dass wir zwei vielleicht doch nicht zusammenpassen.“ Ich schluckte hörbar.
„Aber Millie …“ Er nahm meine Hände.
„Es tut mir leid.“ Ich zog meine Hände zurück. „Es liegt hauptsächlich an mir, nicht an dir. Der gestrige Abend war nur ein Beispiel für das, was zwischen uns nicht stimmt.“
„Wovon redest du?“
Ich zwang mich, ihm in die Augen zu sehen. „Ich war dir gegenüber nicht aufrichtig. In Wahrheit bin auch ich eine von diesen Frauen, die dir nachgestellt
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