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Gute liegt so nah...

Gute liegt so nah...

Titel: Gute liegt so nah... Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: K Higgins
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worden war.
    Ich verbrachte geschlagene sechzig Minuten mit duschen, schminken und der Wiederherstellung der Frisur, für die ich einen Wochenlohn bezahlt hatte. Nachdem ich eine schwarze Hose und einen weiten pinkfarbenen Pullover angezogen sowie pinkfarbene Blumenohrringe angelegt hatte, verabschiedete ich mich von Digger und ignorierte sein Geheul, als ich in meinen Honda stieg. Ich hoffte nur, er würde nicht wieder auf den Fußboden machen.
    Der raue Märzwind versuchte, meinen Kleinwagen von der kurvenreichen Straße zum OCSC zu wehen, während ich in Gedanken erneut durchging, was ich zu Joe sagen wollte, wenn ich ihm „zufällig“ begegnete. Es musste etwas Beiläufiges sein, das aber seine Aufmerksamkeit fesselte. Etwas, was ihm nicht mehr aus dem Kopf ging. Ich durfte nur nicht vergessen, erstaunt zu tun, weil er dort arbeitete. „Oh, hallo Joe! Was machst du denn hier? Ich? Ach, ich vertrete Dr. Whitaker im Heim.“ Danach würde ich Joe mit meinen Referenzen beeindrucken und ihm erzählen, dass ich von nun an regelmäßig dort sein würde. In Zukunft würde es also nicht mehr notwendig sein, zufällige Zusammentreffen zu inszenieren.
    Als ich zum OCSC einbog, bekam ich Herzklopfen. Joes Pick-up, ein alter brauner Chevy Cheyenne mit der Aufschrift „Joe Carpenter – Zimmermann“ in weißen Buchstaben auf beiden Türen, stand auf dem fast leeren Parkplatz. Ich machte mich bereit, Joe mein witziges, freundliches und attraktiveres Ich zu präsentieren. Kaum war ich aus dem Wagen gestiegen, zerzauste der Wind meine Haare, und weil ich wusste, welche Auswirkungen die salzige Seeluft auf meine neue Frisur hatte, legte ich meine Hände auf den Kopf und rannte zur Eingangstür.
    Der vertraute und (jedenfalls mir) nicht unangenehme Krankenhausgeruch empfing mich. Es roch nach schwach gesalzenem Essen, Desinfektionsmitteln und diesem undefinierbaren medizinischen Duft. Ich spähte vom Foyer aus in die leeren Gänge, aber von Joe war nichts zu sehen. Hinter dem Empfangstresen befand sich auch niemand, deshalb ging ich zu dem großen Gemeinschaftsraum links und registrierte die sich automatisch verriegelnden Eingangstüren, die verhindern sollten, dass jemand ohne Abmeldung einfach verschwand. Ah, hier war endlich jemand! Vor einem riesigen Fernseher, in dem gerade eine Gerichtsshow lief, hatten sich etwa ein Dutzend Senioren versammelt und lauschten den schrillen Ansichten einer TV-Richterin.
    Eine Frau schaffte es, sich von der Sendung loszureißen. Sie trug Schwesternkleidung, woraus ich schloss, dass sie zum Hilfspersonal gehörte, das in solchen Heimen für die Drecksarbeit zuständig war. Sie kam zu mir herüber und musterte mich kühl.
    „Ja?“, fragte sie, die Hände auf den Hüften und ein wenig gereizt, weil ich die gute Richterin unterbrochen hatte.
    „Hallo, ich bin Dr. Barnes und vertrete Dr. Whitaker“, erklärte ich lächelnd.
    „Millie Barnes?“, fragte die Helferin und kniff die Augen misstrauisch zusammen.
    „Ja.“
    „Du erkennst mich nicht, oder?“, meinte sie verdrießlich. Ihr dünnes kinnlanges blondes Haar, das an den Wurzeln einen gut zwei Zentimeter breiten schwarzen Ansatz hatte, umrahmte ein wenig attraktives, verlebtes Gesicht. Sie hatte eine Fernfahrerfigur – Bierbauch, kräftige Arme und rot geränderte Augen.
    „Nein, tut mir leid … du kommst mir bekannt vor, aber mir fällt dein Name nicht ein“, erwiderte ich verlegen.
    „Stephanie Petrucelli“, sagte sie, offenbar verärgert darüber, weil ich sie nicht einordnen konnte. „Wir sind zusammen auf die Nauset High gegangen.“
    Richtig! Sie gehörte zu den härteren Mädchen in meiner Klas se, tätowiert, pöbelnd, groß porig. Ich erinnerte mich an einen Spanischkurs, als Stephanie laut über meinen Versuch, den Akzent des Lehrers nachzusprechen, gegackert hatte. Manchmal wartete sie zähnefletschend in der Schlange vorm Bus auf mich, und als ich mich damals übergab, lachte sie laut. Zwar hatte sie die angedrohten Prügel nie wahr gemacht, mich aber trotzdem verspottet und terrorisiert. Stephanie hatte zu einer Clique weniger begabter Schüler gehört, die jeden hassten, der klüger war. Und die waren zahlreich.
    „Jetzt erinnere ich mich“, sagte ich und musterte sie ausdruckslos. Besonders gut hatte sie sich nicht gehalten.
    „Du bist Ärztin?“, fragte sie mit spöttischem Unterton.
    „Stimmt.“
    „Was machst du dann hier? Dr. Whitaker ist unser Arzt.“
    „Ich glaube, das habe ich dir bereits

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