Gute liegt so nah...
sie abgöttisch liebte, und ich hörte ihr gern zu, wenn sie von deren erstaunlichen Talenten und selbstverständlich überdurchschnittlicher Intelligenz erzählte. Sienna hatte eine Menge Humor und berichtete uns Älteren von ihren Eskapaden … genau genommen war sie bloß fünf Jahre jünger als ich, nur dass ich nie nachts um elf nach Boston gefahren war, um mir eine Band anzusehen oder bei irgendwelchen Fremden zu übernachten oder mit mehreren Männern gleichzeitig etwas anzufangen. Genau solche Sachen machte Sienna und erzählte uns dann alles haarklein.
Dr. Balamassarhinarhajhi (ich brauchte nur ungefähr zwanzig Versuche) erklärte sich damit einverstanden, schlicht Dr. Bala genannt zu werden, nachdem Sienna ihm rundheraus sagte, seinen Namen in voller Länge auszusprechen dauere einfach zu lange. In der halben Stunde, in der unsere Schichten sich überschnitten, tauschten wir uns über die Ereignisse des Tages aus, ansonsten blieb er höflich und distanziert. Sienna hatte herausgefunden, dass er eine Scheinehe eingegangen war. Wie sie das geschafft hatte, blieb ein Rätsel, doch es hielt uns drei Frauen nicht davon ab, ausgiebig darüber zu diskutieren.
Ach ja, gelegentlich kam tatsächlich ein Patient vorbei. Ein Koch aus Provincetown schnitt sich in den Finger und musste mit drei Stichen genäht werden. Ein Kind klemmte sich die Hand in der Autotür und musste geröntgt und geschient werden. Tägliche kleine Notfälle eben. Es gab keine Bombendrohungen, kein Gasleck, keine Gangs, keine verwilderten Hunde, keine Helikopter, die durchs Dach krachten. Es war also überhaupt nicht wie im Fernsehen.
Die Nachtschicht war noch ruhiger. Aus mysteriösen Gründen, die ich nicht hinterfragen wollte, übernahm Dr. Bala meistens diese Schicht. Unsere Aushilfskraft war ein Student, ein netter junger Mann namens Jeff, der in den stillen Stunden zwischen fünf und zehn Uhr eifrig für sein Studium lernte. Wenn ich die Nachtschicht machte, nahm ich mir das New England Journal of Medicine mit oder meinen Laptop, um das Neueste aus der Welt der Medizin zu lesen.
Es war leicht, den Patienten zu helfen, die in die Praxis kamen, und ich nahm mir viel Zeit für sie, indem ich aufmunternd mit ihnen sprach und ihnen allgemein viel Aufmerksamkeit zukommen ließ. Das gefiel mir am besten an meiner Arbeit. Ich schien meinem Traum von der eigenen Hausarztpraxis ein ganzes Stück nähergekommen zu sein, wenn ich mit Mrs Kowalski plauderte, die nach chinesischem Essen einen Ausschlag bekommen hatte, oder wenn ich Kyle McIntyre, der ihr älterer Bruder ins Auge gestochen hatte, Barbie-Aufkleber schenkte. Ich genoss es, die verantwortliche Ärztin zu sein, denn als Assistenzärztin hatte ich ständig Vorgesetzte über mir gehabt. Jede Woche rief ich Dr. Whitaker an und hielt ihn über die Patienten in der Klinik und im Seniorenheim auf dem Laufenden, und er war anscheinend zufrieden mit meiner Arbeit.
In meiner Freizeit mühte ich mich mit der zwei ten Mission meines Lebens ab – Joe Carpenter. Jeden Donnerstag, während meiner Zeit im Seniorenheim, richtete ich es so ein, dass der Goldjunge und ich uns über den Weg liefen. Wir grüßten uns, winkten uns freundlich zu. Einmal humpelte sein dreibeiniger Hund Tripod zu mir, sodass ich ihn streicheln und Joe versichern konnte, was für einen süßen Hund er habe.
Ich joggte weiter, und nach einigen Wochen verursachte mein kleiner Lauf mir nicht mehr so heftige Schmerzen, obwohl ich immer noch nach Luft schnappte wie einer der Barsche, die mein Vater regelmäßig aus Higgins Pond angelte. Ich verlor noch ein paar Pfunde und versuchte, wenigstens einmal pro Woche vernünftig zu kochen, wobei ich lernen musste, dass es für die meisten Gerichte ratsam war, das Fleisch vor dem Garen aufzutauen.
Das Haus wurde mehr und mehr meins. Ich strich den Kellerfußboden und machte energisch sauber. Manchmal nahm ich einen Bilderrahmen, eine Blumenvase oder ein anderes kleines Objekt und quälte mich glücklich mit der Frage, wo ich es aufhängen oder hinstellen sollte. Ja, Digger und ich waren ziemlich zufrieden mit unserem Leben.
Eines Samstagnachmittags Ende April, als mein Hund und ich uns keuchend dem Haus näherten, entdeckte ich Sams Pick-up in der Auffahrt. Er und Danny waren dabei, etwas von der Ladefläche abzuladen.
„Hallo Mil!“, rief Sam.
„Hallo Tante Mil!“, rief Danny.
„Hallo Jungs“, begrüßte ich sie noch ganz außer Atem und ließ Digger von der Leine. Dieser
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