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Gute liegt so nah...

Gute liegt so nah...

Titel: Gute liegt so nah... Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: K Higgins
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Sofort wurde mir wieder schlecht.
    „Sams Eltern sind auf diese Weise ums Leben gekommen“, sagte ich streng, denn die Erinnerung an seine vor Trauer gebeugte Haltung bei der Beerdigung seiner Eltern berührte mich noch heute. An dem Wochenende hatte ich mir die Augen aus dem Kopf geweint, dabei kannte ich sie kaum.
    „Echt?“ Joes Augenbrauen schossen in die Höhe.
    „Erinnerst du dich etwa nicht mehr? Wir waren auf der Highschool, und Sam war gerade von der University of Notre Dame zurück. Es kam sogar in den Nachrichten, und die halbe Stadt war bei der Beerdigung.“
    Joe erinnerte sich offenbar wirklich nicht, trotzdem nickte er. „Ja, das war übel.“
    „Es war nicht bloß übel!“, fuhr ich ihn wütend an.
    „Schon gut, Millie. Krieg dich wieder ein.“ Mit ernster Miene erklärte er: „Glaub mir, ich habe meine Lektion gelernt. Verzeihst du mir diesen Fehler?“
    Gib Ruhe, Millie, sonst ruinierst du noch diesen Tag. Außerdem liegt das schon lange zurück. Ich holte tief Luft und schaute auf das endlose blaue Meer hinaus. „Tu’s einfach nicht wieder, ja?“
    „Selbstverständlich nicht. Ich sagte ja schon, dass ich meine Lektion gelernt habe.“ Er drückte meine Hand, und das besänftigte mich ein wenig. Ich brachte sogar ein Lächeln zustande, und er gab mir einen Kuss auf die Nasenspitze. „Los geht’s“, verkündete er, warf die Schnur aus und drückte mir die Angel in die Hand.
    Eine ganze Weile beobachteten wir einfach nur schweigend das Wasser. Unsere Haare wehten im Wind, die Wellen schlugen leise gegen den Bootsrumpf.
    „Ich kann mir nichts Besseres vorstellen, womit ich den Tag verbringen möchte“, bemerkte Joe. „Auf dem Meer mit meiner Liebsten.“ Sein strahlendes Gesicht und die klaren grünen Augen zerstreuten jeden Zweifel, den ich gehabt haben mochte. Er hatte mich seine „Liebste“ genannt, und das machte jede Dummheit wett, die er früher begangen haben mochte.
    Für die nächste Stunde verordnete ich mir, mich zu amüsieren und diesen herrlichen Tag mit Joe zu genießen. Blöderweise ließ sich meine Seekrankheit weder leugnen noch ignorieren, und natürlich hatte ich auch meine Sonnencreme vergessen. Zwar war es noch bedeckt gewesen beim Auslaufen, aber hier draußen auf dem Meer schien die Sonne. Joe besaß keine Sonnencreme (zu unmännlich), aber er fand eine übel riechende Red-Sox-Baseballkappe, die ich mir aufsetzte.
    Wir fuhren ziellos mit dem Boot herum und fingen keinen einzigen Fisch. Ich war erst einige Male mit meinem Dad beim Angeln gewesen und verspürte keinerlei Bedürfnis, irgendeine kalte, glitschige, zappelnde Kreatur an Bord zu ziehen. Hin und wieder schaute Joe nach, ob der Köder noch am Haken war, dann warf er die Leine wieder in die schäumenden Wellen, wo sie in den geheimnisvollen Tiefen versank. Ich versuchte nicht aufzustehen, weil ich jedes Mal schwankte wie eine Betrunkene und fast hinfiel.
    „Wie tief ist das Wasser hier eigentlich?“, fragte ich irgendwann.
    „Keine Ahnung.“
    „Was passiert, wenn wir über Bord gehen? Gibt es Schwimm westen?“
    „Wir fallen nicht ins Wasser“, meinte er beruhigend und zog mir scherzhaft den Schirm der Baseballkappe ins Gesicht. „Und wenn du doch hineinfällst, springe ich hinterher und rette dich.“
    „Sehr nett. Aber haben wir nun Schwimmwesten an Bord?“
    „Sicher, irgendwo. Vielleicht unter den Sitzen.“ Plötzlich richtete er den Blick zum Horizont und sprang auf, um den Motor abzuschalten.
    „Was ist denn? Kommt eine Flutwelle auf uns zu?“ Ich stellte mich neben ihn und klammerte mich dabei am Bund seiner Jeans fest, um das Gleichgewicht nicht zu verlieren.
    „Scht.“
    Tripod fing an zu knurren. „Verdammt“, flüsterte ich, „was ist das?“
    Die Antwort bekam ich umgehend, denn eine Wasserfontäne schoss hoch in den Himmel. Ich schrie auf und krallte mich panisch an Joe fest.
    Keine zwanzig Meter von unserem Boot entfernt kam ein Wal an die Oberfläche. Wir sahen deutlich seinen glänzenden, mit Krebsen übersäten Rücken und die gewaltige Schwanzflosse, als er wieder abtauchte. Links von uns tauchte ein weiterer Wal mit einer Wasserfontäne auf. Tripod bellte aufgeregt und mit gesträubtem Nackenfell.
    „Verschwinden wir von hier!“, schrie ich und zerrte an Joes T-Shirt. „Schnell!“
    „Beruhige dich und sieh dir das an. Ein großartiges Naturschauspiel.“ Es folgte ein gigantisches Platschen, da einer der Wale mit seiner Schwanzflosse direkt vor uns aufs Wasser

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