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Gute Nacht Jakob

Gute Nacht Jakob

Titel: Gute Nacht Jakob Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans G. Bentz
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sagte Opapa. »Das ist ja ein halber Lämmergeier!«
    »Ja, schön groß, nicht wahr?« sagte ich, während ich innerlich zitterte. Jakob saß verdattert auf dem Boden des Käfigs. Der war schön sauber mit Sand bestreut. Darin war ein Napf mit frischem Wasser, ein weiterer mit Vogelfutter und eine Schaukel.
    Opapa wandte sich zur Omama um, die gerade hereinkam. »Hast du das gesehen, Paulchen?«
    Sie sah es, warf ihm einen hypnotisierenden Blick zu.
    »Ja, ein liebes Tierchen. Du kommst dann nach vorn, Hänschen, Abendbrot. Du wirst sehr müde sein.«
    Valeska kam mit einem Koffer: »Allmächtiger, ‘ne Krähe!«
    »Eine Dohle!« verbesserte Opapa sie streng. Dann setzte er sich seinen Kneifer auf, beugte sich gegen das Bauer und kratzte mit dem Finger gegen die Gitterstäbe: »Na, Jakob?« Der würdigte ihn eines kühlen, unverbindlichen Blickes und kratzte sich dann am Ohr. Sodann begann er eine Besichtigung des Bauers. Zunächst steckte er den Schnabel in das Wasser und ließ es genüßlich die Kehle hinunterrinnen, was Opapas Beifall erregte. Dann warf er das ganze Vogelfutter aus dem Freßnapf und deutete auf diese Weise an, daß er dieses Menü für extrem albern halte.
    »Er frißt Mehlwürmer«, erklärte ich, »oder auch ‘n Stückchen Fleisch oder Semmelbrösel genudelt und in Milch getaucht.«
    »Na, woll’n wir doch mal sehen!« sagte Opapa, stöberte in der Speisekammer, erschien mit Semmelkrume, tauchte sie in Milch und nudelte. Jakob nahm es dankbar an.
    »Netter Kerl!« sagte Opapa.
    Ich atmete auf. Die erste Schlacht schien gewonnen. Dann ging es ans Auspacken und ans Erzählen, wir aßen zu Abend, ich wurde furchtbar müde und ging nur noch einmal zu Jakob, um ihn zur Nacht zuzudecken. Er hatte die Schaukel ausgehakt und war dabei, sie zu Kleinholz zu verarbeiten. Dann mußte ich mich noch waschen, fiel ins Bett und war im Moment eingeschlafen.
    Am nächsten Morgen fand ich mich erst gar nicht zurecht. Die Sonne stand hell im Zimmer und fiel auf den Waschtisch, hinter dem an der Wand ein Tuch aufgespannt war, mit >Morgenstunde hat Gold im Munde< daraufgestickt. Wo war ich nur? Ach — zu Hause! Darm fiel mir ein, daß ich noch drei Tage Ferien hatte. Wir kamen immer etwas früher zurück, damit »der Junge nicht sofort in die Schule braucht und sich eingewöhnen kann«. Diese drei Tage waren die größten Kostbarkeiten der ganzen Ferien. Sie wurden Stunde für Stunde sorgsam genossen und gewissermaßen auf der Zunge zerkaut.
    Dann fiel mir Jakob ein, das heißt, ich hörte nebenan im Eßzimmer eine bekannte Stimme: »Tschack-tschack!«, darauf ein Klirren und Rollen. Ich schlüpfte aus dem Bett und öffnete leise die Tür: Opapa saß an seinem Tischchen am Fenster, über dem Ärmel hatte er ein Tuch, und auf dem Tuch saß Jakob. Beide beschäftigten sich mit der Münzsammlung. Jakob hatte seinen Schnabel tief in der Blechschachtel mit Silbermünzen und sortierte. Ab und zu holte er ein Stück heraus, das ihn besonders interessierte, nahm es in die Kralle und hackte darauf herum. Dann ließ er es fallen, und Opapa fing es auf, das heißt, manchmal. Manchmal glückte es auch nicht, und dann rollte es über den Fußboden, und Opapa ließ es ruhig rollen. Das war für mich ein völlig unverständlicher Vorgang, wo es doch zu den Schreckvorstellungen der Familie gehörte, daß irgend etwas Wertvolles über den Fußboden rollen und in den breitklaffenden Dielenritzen unter den Wänden verschwinden könnte, wo man es nie wiederfinden würde. Laut Familiensaga waren bereits zwei goldene Zwanzigmarkstücke und ein kleiner Brillantring der Omama auf diese Weise abhanden gekommen. Tagelang hatte man mit gebogenen Drähten hinter den Dielen herumgestochert, aber außer faulem Holz und grauen Fusseln nichts von Belang zutage gefördert. Und jetzt rollte ein blitzblanker Jubiläumstaler mit einem Kurfürsten in Rüstung und Allongeperücke in der Gegend herum, und Opapa stand nicht auf, offenbar, um Jakob nicht zu erschrecken!
    Der hatte nun die Münzsammlung satt und stieg auf Opapas Bauch über. Zunächst zog er dort mit gewaltigem Kraftaufwand die Uhr aus der Westentasche. Sie wurde ihm ans Ohr gehalten, und er lauschte einen Augenblick dem leisen Ticken. Dann hielt ihm Opapa den Taschenspiegel vor. Das war eine Sensation. Denn das Bild darin war natürlich ganz etwas anderes als in den Kneifergläsern des Mannes im Kupee. »Armleuchter!« sagte Jakob erschüttert, als er sein Porträt sah. Dann pickte er

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