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Gute Nacht Jakob

Gute Nacht Jakob

Titel: Gute Nacht Jakob Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans G. Bentz
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den anderen Flügel reckte, schüttete sie ihm ihr Herz aus. Besonders an Montagen, wenn sie am Vortage mit ihrem Freund, dem zwei Meter großen Möbelpacker, zum Tanz gewesen war.
    »...und da habe ich ihm gesagt«, hörte ich sie erzählen, »du brauchst gar nicht der Elli solche Augen zu machen, du dummer Kerl, die will gar nichts von dir wissen! Und da hat Mieze gesagt — du kennst sie ja, Jakob, die von drüben mit den gefärbten Haaren — du bist dumm, hat sie gesagt, laß dir doch ruhig von dem Kerl noch ‘n Glas spendieren, wenn er will. Nimm, was du kriegst, hat sie gesagt, und darauf habe ich gesagt...«
    Sie brach ab, wenn ich in Erscheinung trat. Ich klopfte sie gewöhnlich auf den Arm, und manchmal gab ich ihr auch einen Kuß, denn ich hatte sie gern, wenn sie auch immer brummig tat. Wir standen dann versunken nebeneinander und beobachteten, wie Jakob seinen Tageslauf fortsetzte.
    Der Verschluß seines Käfigs bestand aus einem kleinen Drahthaken, dessen eines Ende in das Bauer hineinragte. Er hatte sehr schnell herausbekommen, daß er dieses Drahtende nur herumzudrehen brauchte, um außen den Riegel aufzuheben. Auf diese Weise öffnete er sozusagen seine Haustür selbst. Im übrigen machte er sie, wenn er ins Bauer zurückging, gewissenhaft wieder hinter sich zu. Nachdem er sie also jetzt geöffnet hatte, klomm er an den Gitterstäben oben auf das Bauer, wo schon sein Badewasser bereitstand, planschte sich ab, trocknete sich und sprang dann auf den Rand des offenen Fensters, von wo er zunächst mit langem Hals den Hof musterte, ein von vier gewaltigen grauen Mauern umstandenes Viereck, in dessen Mitte eine >Schmuck-Anlage< ihr schwindsüchtiges Dasein führte.
    Sodann begann er das, was wir das >Schulmeister-Spiel< nannten. Auf der gleichen Etage mit uns wohnte nämlich ein alter, grantiger Mann namens Schulmeister. Er hatte einen kleinen grauen Spitzbart, trug auch in der Wohnung ein schwarzes Käppchen, weil er Angst vor Zugluft hatte, und schimpfte über alles. Uns Kindern hatte er Jahre hindurch das Leben schwergemacht, wenn wir unten zwischen den Kellereingängen und Müllkästen und den drei verstaubten Büschen der >Schmuck-Anlage< unsere bescheidenen Großstadtspiele abwickelten.
    Sein Schlafzimmerfenster stieß in schrägem Winkel gegen unser Küchenfenster, und schon in den ersten Tagen, wenn Jakob sein Repertoire aufsagte, hatte der Alte das Fenster geöffnet und energisch um Ruhe gekrächzt. Daraufhin war Jakob mehrfach erklärt worden, er solle ruhig sein, Herr Schulmeister verlange das. Er hatte sich das mit schiefem Kopf gewissenhaft angehört und offenbar ganz korrekt den Alten mit der Einschränkung seiner freien Meinungsäußerung in Verbindung gebracht. Ein paar Tage lang übte er mit großen Zungenverrenkungen an einem Wort, und schließlich kam es klar, und er schmetterte es triumphierend das erstemal heraus: »Schul-mei-ster!« Es lag etwas unerhört Aufreizendes und Höhnisches in der Art seiner Akzentuierung.
    Beim ersten Male fuhr der bärtige Kopf des Alten aus dem Fenster: »Hat mich jemand gerufen?«
    »Schul-mei-ster!« schmetterte Jakob. Der Alte lief rot an und schmiß das Fenster zu. Ich kniff Valeska vor Vergnügen in den Arm, daß sie quietschte. Jakob jedoch war nun nicht mehr zu bremsen. Er ließ das ganze Repertoire los: »Kakao — Armleuchter — Hansemännchen — Tschack-tschack — Paulchen — Kraaaoooh — Mäckemäckemäckemäckemäckemäckemäckemäckemäcke« und zum Schluß wieder »Schul-mei-ster!« Es war eine Kaskade, eine Geräuschorgie, bis endlich das Fenster drüben wieder aufging und der bärtige Kopf erschien: »Verdammte Krähe, ich bringe dich um!«
    »Hahahaha!« lachten Valeska und ich, und »Hahahaha!« machte Jakob uns nach. Dann drehte er sich auf dem Fensterrahmen um, ließ etwas fallen und sprang in das Bauer zurück.
    Dies trieb er jeden Morgen. Schulmeister rannte auf die Polizei. Da es aber weder nächtliche Ruhestörung noch Berufsbehinderung war, weil er nämlich keinen Beruf nachweisen konnte, mußte er Jakobs Sprachübungen hinter seiner Scheibe erdulden, bis es ihm an der Zeit schien, »Verdammte Krähe!« zu schreien, worauf sich Jakob mit dem üblichen Klecks von ihm verabschiedete.
    Anschließend frühstückte Jakob mit uns, bekam seinen Teil von den Brötchen ab und kehrte, wenn ich den Schulranzen aufschnallte und die Tür hinter mir zufiel, in die Küche zurück. Dort machte er sich, wie mir Valeska erzählte, auf seine

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