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Gute Nacht Jakob

Gute Nacht Jakob

Titel: Gute Nacht Jakob Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans G. Bentz
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Weise nützlich, indem er Fleisch stahl, Späne aus dem Fußboden hackte oder in Valeskas Zimmer Haarnadeln sammelte und sie — wenn irgend möglich — in die Suppe fallen ließ, die auf dem Herd dem Mittag entgegenkochte.
    Wenn ich von der Schule heimkehrte, sah ich schon von fern auf unserem Balkongeländer eine kleine schwarze Gestalt, die dort aufgeregt herumturnte. Jakob hatte sehr bald herausgefunden, daß er meine Heimkehr vom Balkon aus beobachten könne. Dieser Balkon war ein an die Hauswand geklebter, für heutige Begriffe scheußlich langer Blechkasten, mit Blumenkästen besetzt, deren Erde nach Aussage des Gärtners, der im Frühjahr die Blumen pflanzte, seit Jahren hätte erneuert werden müssen. Statt dessen wurde sie von der sparsamen Großmutter nur mit Kunstdünger bestreut und entlud sich pflichtgemäß in Petunien, die von Generation zu Generation kümmerlicher ausfielen.
    Auch in diesen Ablauf brachte Jakob eine Wandlung. Er erlöste die Blumen von ihrem Kunstdüngerleiden, indem er sie kurzerhand abhackte, um das nötige Sichtfeld zu bekommen. Krächzend und flügelschlagend saß er dann in der selbstgeschaffenen Dschungelöffnung und bekundete auf jede Weise, daß er sich unsinnig freue, mich wiederzusehen. Ich konnte mich in der Schule noch so sehr geärgert haben — und meist hatte ich das auch —, sobald ich dieses Wesen sah, meinen geliebten Freund, für den ich genauso Mittelpunkt des Lebens war wie er für mich, war alles wie weggeblasen.
    Valeska, die mir die Wohnungstür öffnete, mußte vorsichtig sein, daß sie Jakob nicht trat, denn er stand schon im dunklen Flur hinter der Tür, flatterte sofort auf meine Schulter und berichtete mit wilden Wortkaskaden, was er alles getrieben, was ihn im besonderen augenblicklich bewegte und was er als Programm für den Rest des Tages vorschlage.
    Beim Mittagessen war er selbstverständlich dabei und bekam von allem seine Häppchen ab. Während der verdammten Schularbeiten, die von der Mama durch häufige Blicke über meine Schulter kontrolliert wurden, saß er auf der Lehne meines Pultes und schlief. Nur gelegentlich griff er ein, indem er eine Seite aus einem Schulbuch riß oder den Federhalter zerhackte oder auch den Schnabel ins Tintenfaß steckte und dann empört die Tinte nach allen Seiten schüttelte. Manchmal setzte er sich auch auf meine Schulter und steckte mir mit sanftem Brummeln ganz vorsichtig den Schnabel ins Ohr. Das alles waren willkommene Unterbrechungen, die auch der Mama gegenüber zu verantworten waren, bis sie plötzlich hinter meinem Rücken vorlangte, in der Grammatik die nächste Seite umschlug und sagte: »Na, nun mal weiter!«
    Nach den Schularbeiten erhielt er erst eine Portion aus dem Mehlwurmtopf, und dann ging es hinunter auf die Straße. Dort gab es zwei schwindsüchtige Gärten mit ein paar Quadratmetern verstaubter Grasnarbe und ein paar ebenso verstaubten Rhododendron-Büschen. Das Ganze war mit weißen Kachelmauern und eingesetzten dicken Eisenstäben wie Kostbarkeiten eingefriedet.
    Ich setzte Jakob in einen dieser Gärten, ermahnte ihn, artig zu sein und nach Würmern zu suchen, und trat dann mit den Kollegen und Kolleginnen aus den Nachbarhäusern in Verhandlungen über das gemeinsame Spiel.
    Sehr oft spielten wir Seeräuber, wobei sich eine frühreife Zehnjährige aus dem Porzellangeschäft nebenan von mir mit Vorliebe >aus der Brandung retten und in die Höhle< schleppen ließ. De facto bedeutete dies, daß ich sie huckepack durch einen dunklen Kellergang in den hinteren Hof tragen mußte. Ich fluchte innerlich über die >süße Last< und hätte lieber einen Kartoffelsack getragen, der hätte mich wenigstens nicht unterwegs im Genick gekitzelt und mir am Schluß einen ebenso intensiven wie feuchten Kuß als >Belohnung< gegeben. Ich nahm ihn hin, weil es so in dem Buch >Der Rote Pirat< stand, kehrte aber so bald wie möglich in den Vorgarten oder vielmehr auf die Kommandobrücke meines Schiffes zurück, die in einer Ausbuchtung des Kachelwalles bestand, und musterte von dort aus mit einem Fernrohr, das ich mir aus den ineinandergesteckten Pappkernen unserer Toilettenpapierrollen konstruiert hatte, den Ozean.
    Immer aber irrte dabei mein Blick in Richtung auf das Jaköble ab, das seinen >Garten< gravitätisch durchmaß, ab und zu den Schnabel in die Erde bohrend oder eilig hinter einer Fliege herschießend. Manchmal auch wieder drehte er den Kopf ganz auf die Seite, und sein Auge folgte einem Vogel, der hoch

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