Gute Nacht Jakob
und sich ganz lang machte, konnte er nur mit einem Auge die wimmelnden Kostbarkeiten sehen, ohne sie zu erreichen.
Der Topf wurde schließlich weggestellt, und die Familie verkrümelte sich bis auf uns drei Männer. Jakob schien ausgesprochen guter Laune zu sein und legte es darauf an, mit uns zu spielen. Zunächst einmal zog er Opapa die Schuhsenkel auf. Dann, als ich mich zu ihm auf die Erde setzte, marschierte er, gravitätisch mit dem Kopf nickend, unter meine hochgezogenen Beine und amüsierte sich damit, den Kopf dazwischen herauszustecken, einmal »Tschack« zu sagen und wieder zu verschwinden. Plötzlich knackte neben mir das Parkett. Und was sah ich? Opapa ließ sich ächzend neben mir nieder! »Ich muß mir doch die Senkel zubinden!« erklärte er, als ich ihn fassungslos anstarrte, und dann grinste er und stieß mich mit der Schulter an.
Auch Jakob war offenbar gewillt, dieses unerhörte Ereignis gebührend zu feiern. Er tat es, indem er sich vor Opapa auf die Teppichkante stellte und — jedesmal mit einem leichten Rülpser — sieben Mehlwürmer aus seinem Kropf spendierte. Er baute sie an langen Spuckefäden in einer militärisch ausgerichteten Reihe auf. Entweder stellten sich die Würmer raffiniert tot, oder sie waren in Jakobs Kropf bereits in ihr Paradies hinübergegangen, jedenfalls lagen sie stocksteif, und Jakob stand hinter ihnen wie ein Trödler hinter seiner Ware. Als Opapa die Hand hob, mimte er >böse<, machte sich ganz gerade und fauchte mit Basiliskenblick.
»Er ist böse«, sagte ich, »sieh dich vor!«
»Unsinn!« erklärte Opapa. »Er will doch nur spielen, siehst du das nicht?« Dabei näherte er seine Hand den Würmern: »Jetzt nehm ich sie!« Worauf Jakob blitzschnell die Wurmleichen in seinem Kropf verschwinden ließ und anschließend einen wilden Hieb gegen Opapas Hand führte.
»Max — deine Hose — es wird ja immer schöner!« sagte unvermutet Omamas Stimme hinter uns. »Außerdem ärgere das Tier nicht, es wird sonst bösartig.«
Opapa zeigte sein Widerspruchsgesicht: »Ärgern? Keine Ahnung, Paulchen, er spielt, siehst du das nicht?«
Jakob rückte auch prompt wieder an Opapas Hand heran und baute die Strecke erneut auf. Einer der Würmer schien durch einen Schaltfehler in den Magen gelangt zu sein, denn es waren nur noch sechs. »Schrei nicht so!« erklärte die (etwas) schwerhörige Omama, »ich höre sehr gut. Außerdem ist das äußerst unappetitlich, was ihr da macht. Und vor allem, hast du nicht um elf Uhr Direktionssitzung?«
Opapa erhob sich ächzend, schüttelte die Hosenbeine gerade und sah dann nach der Uhr: »Es ist ja erst zehn Uhr!«
»Das weiß ich. Du mußt dich aber umziehen, deine Hose ist verknittert, und am Po hast du sicher Flecke. Valeska hat erst gestern frisch gebohnert.«
Worauf Opapas Widerspruch schlagartig zusammenbrach und er nach hinten trabte.
»Sei wenigstens du vernünftig!« ermahnte mich die Omama. »Man kann euch wirklich keinen Augenblick allein lassen. So kleine Jungens seid ihr doch nun auch nicht mehr!«
»Ich bin doch so froh, daß er Jakob gern hat!« sagte ich und streichelte ihn. Hinter mir hörte ich ein Räuspern, und dann strich mir eine Hand leise über den Kopf. Die Tür fiel zu. Endlich war ich allein und konnte auch mal mit meinem Vogel spielen. Wir taten es, bis kein Wurm mehr übrig war...
DER RITTER
Nach zwei Tagen mußte ich unwiderruflich zur Schule, und allmählich begann sich nun Jakob in unser Leben und in den Haushalt einzufügen. Ich weiß nicht, wie er es machte, er gab sich auch gar keine besondere Mühe, aber er brachte die ganze wohlgeölte Maschine dieses Haushalts aus den Fugen. Um ein weniges nur. Aber dieses wenige war wie ein erfrischender Lufthauch. Es war alles so wie sonst, aber es war doch nicht mehr das gleiche. Etwas strahlte von dem kleinen schwarzen Kobold aus, das hinter alle die gewohnten Verrichtungen ein winziges, lustiges Fragezeichen setzte.
Sein Tageslauf begann damit, daß Valeska die Decke von seinem Bauer nahm. Kurz darauf erschien auch ich. Gewöhnlich überraschte ich Valeska dabei, daß sie sich mit ihm unterhielt. Ich hatte damals noch kein Verständnis für die innere Einsamkeit eines solchen Menschen, der mit ein paar anderen in engster Gemeinschaft lebt und doch nicht zu ihnen gehört und der nur so wenige Stunden für sich selbst hat. Während Jakob den Kopf aus den Federn holte, das zweite Bein aus dem Bauchflaum in Betrieb nahm, gähnte und erst den einen, dann
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