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Gute Nacht Jakob

Gute Nacht Jakob

Titel: Gute Nacht Jakob Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans G. Bentz
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anklang und hinwegzog, bückte er sich und schien ihm in das Innere des Instruments nachzustarren, so, als ob er ihn sähe. Schlug ich eine Weile hintereinander Töne an, so wurde er müde und schlief ein, wo er saß oder stand. Vielleicht war es auch eine Art Versenkung, die ihn erfaßte, ich weiß es nicht.
    Nach den Klavierübungen kam dann das Balustradenspiel an die Reihe. Im Eßzimmer gab es zwei Balustraden mit dicken Holzsäulen, die aus den Wänden wuchsen und am Ende je einen Blumentopf trugen. Die Mama sagte immer, sie seien ein Greuel, und man solle sie verheizen, aber Opapa ließ das nicht zu; er hatte sie nämlich von seinem Kriegerverein zum sechzigsten Geburtstag bekommen, wahrscheinlich weil ein anderer Krieger sie los sein wollte. Auch ich war ihnen feindlich gesinnt, vielleicht, weil ich ihre Geschmacklosigkeit schon innerlich empfand. Durch Jakob bekamen sie jedoch wie so vieles andere um uns herum, einen neuen Sinn. Er stellte sich auf die eine Seite einer Balustrade, und ich mußte auf allen vieren auf der anderen Seite kauern. Dann mußte ich in dem Raum zwischen zwei Säulen mit den Fingern kratzen, während er sich ganz lang und aufgerichtet hinter der Säule versteckte. Plötzlich schoß er dann vor und hackte nach mir. Derweilen griff ich um die andere Säule herum und versuchte, ihn am Schwanz zu ziehen. Es gab wilde Kämpfe rund um die Säulen herum, und das Ganze war ein Hauptspaß.
    Von da ging es in die Bibliothek, wo die beiden Ritter standen und außerdem zwei mächtige Elchgeweihe aus der Wand herausragten. Jakob benutzte sie als Bäume, auf denen er herumturnte und von denen er seine Kleckse herunterfallen ließ. Da sie aus ziemlicher Höhe kamen, gab es ein richtiges Geräusch, wenn sie auf dem obersten Bücherbord aufschlugen, eine Quelle stets neuen Interesses für Jakob, der ihnen mit schiefem Kopf nachsah, als studiere er die Fallgesetze.
    Dann ging es tip-tip-tip in den Salon, genannt die >Kalte Pracht<. Dort waren nur die Quasten an dem großen Rundsofa bemerkenswert. W’enn die Tür geöffnet wurde, bewegten sie sich im Zug, und das war für Jakob das Signal, den Kampf mit ihnen aufzunehmen. Er hatte sie alle schon einmal abmontiert, aber die Mama nähte sie immer wieder an, so daß es sozusagen eine Freude ohne Ende war.
    Der Rundgang endete in Opapas Arbeitszimmer, in dem er nie arbeitete und in dem ein gewaltiger Schreibtisch stand, an dem er nie saß. Auf dem Schreibtisch aber gab es für Jakob eine ganze Menge interessanter Dinge, so zum Beispiel die Siegellackstange und das dazugehörige Petschaft, einen Brieföffner in Gestalt eines Schwertes, das aus einer gepanzerten Ritterfaust wuchs, und vor allen Dingen den Federreiniger, ein Glas mit bunten Glaskügelchen gefüllt. Erst hatte Jakob immer von außen gegen das Glas gepickt, dann aber hatte er sehr bald herausgefunden, daß mein es umwerfen müsse, um an die Kügelchen zu kommen. Und er warf um, mit Leidenschaft und bei jeder Gelegenheit. Die ganze Familie war schon mal über so einem Kügelchen ausgerutscht, nur ein Drittel war noch im Glas, die übrigen hatte Jakob verschleppt. Man fand sie gelegentlich in einer seiner Schatzkammern, aber leider nicht nur da. Auf ungeklärte Weise hatten sie zum Beispiel auch einmal den Weg in einen Kuchenteig gefunden, und Opapa biß sich eine Krone daran aus.
    Nach dem Kügelchenspiel zog sich Jakob meist zwecks Meditationen in seine Privatgemächer zurück und machte den Riegel hinter sich zu.
    Das Abendessen kam. Die Familie saß um den Tisch und kaute unter dem bullernden Gaslicht ihre spartanischen Schnitten. Welch ein Unterschied aber gegen früher! Die Eintönigkeit des Menüs bedrückte mich überhaupt nicht mehr. Wie auf Verabredung schwiegen wir alle zu Beginn des Essens wie die Trappistenmönche und lauschten. Wir brauchten nicht lange zu warten. Mit dem sechsten Sinn eines Haustieres für die menschliche Essensfolge wußte Jakob, was die Stunde geschlagen hatte. Wir hörten es in der Küche flattern: er hatte also die Bauertür aufgemacht und war auf dem Boden gelandet. Und dann kamen tip-tip-tip die kleinen Krallenfüßchen den langen dunklen Flur entlang. Pause. Jetzt — wußten wir — bückte er sich und sah unten durch die Türritze. Dann klopfte es sehr energisch gegen das Holz. Ich stand auf, öffnete, und herein im Hüpfetritt flatterte Jakob. Er war im Nu auf meiner Stuhllehne, von der übrigen Familie mit einem feierlichen »Ah!« begrüßt. Er wartete,

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