Gute Nacht Jakob
ist?«
Er dachte einen Augenblick nach: »... Nein, eigentlich nicht...«
»Wenn’s ‘rauskommt, was passiert lins dann?« flüsterte die Mama.
Omama schien noch zu wachsen. Dies war wieder eine Gelegenheit, ihre juristischen Kenntnisse zu zeigen (ein geflügeltes Wort von ihr war: Ich bin ein halber Rechtsanwalt):
»Es ist Körperverletzung«, erklärte sie feierlich, »bösartige Körperverletzung — günstigenfalls! Dazu Brandstiftung — das ist die strafrechtliche Seite. Dann der angerichtete Sachschaden, ein eventuell damit verbundener Nervenschock wäre zivilrechtlich einklagbar. Da du nicht vorbestraft bist, Max...«
»Nein, nein, nein«, stammelte die Mama, setzte sich auf die Fensterbank und schlug die Hände vor das Gesicht.
Ich klopfte Opapa tröstend auf den Arm: »Mach dir keine Sorgen, Opapa, ich besuch dich im Gefängnis. Der Graf von Monte Christo... der war viel länger drin! Im übrigen biste ja noch nich drin! Wenn man nämlich nich sieht, daß es deine Zigarre is, dann kann se ja auch von ‘nem andern Balkon ‘runtergefallen sein!«
Opapa packte mich an der Schulter: »Du hast recht, Junge... was meinst du, Paulchen?«
Omama wiegte zweifelnd den Kopf: »Wenn’s gerade niemand gesehen hat... aber der alte John von gegenüber, der auch diese Albernheiten macht wie du mit dem Feldstecher... und uns immer morgens ins Schlafzimmer sieht... es sollte mich doch wundern, wenn der nicht...«
Ich war inzwischen wieder auf die Fensterbank geklettert und stieß in diesem Augenblick einen Schrei aus: »Sie haut ab!«
Über mir quetschten sich drei Nasen an die Scheibe, und die Mama vergaß sogar, mich wegen des vulgären Ausdrucks zu rügen. Tatsächlich hatte der Hut unten seine Schaufensterinspektion beendet. Gott sei Dank war die Dame bei dieser Inspektion auch allein geblieben, so daß sie niemand auf die Vorgänge in ihrem Obergeschoß hätte aufmerksam machen können. Auch schien sie an Nasenverstopfung zu leiden oder den Gestank einer anderen Ursache zuzuschreiben, jedenfalls bog sie gewaltig dampfend um die Ecke auf die Hauptstraße und somit aus unserem Gesichtsfeld.
Ein paar unruhige Tage vergingen noch, an denen Opapa schon viel früher aufstand als sonst, hinter der Tür wartete und dem Boten die Zeitung aus der Hand riß, wenn er sie durch den Schlitz steckte. Er rannte dann in die Bibliothek, schlug die Lokalchronik auf und suchte mit verkniffenem Gesicht nach einer Notiz: »Bei lebendigem Leibe verbrannt« oder: »Bekannte Dame der Gesellschaft mit schweren Brandwunden in das Krankenhaus eingeliefert« oder: »Wer war der Täter? Bubenstreich gewissenloser Rohlinge verstümmelt berühmte Schauspielerin!«
Nichts dergleichen. Allmählich wagten wir wieder frei zu atmen und zu glauben, daß die Dame ein für allemal aus unserem Leben gedampft war, daß es keine Polizisten in unserer Wohnung geben würde und keine Verhandlung und keine Familienschande. Langsam fingen wir wieder an, uns honorig vorzukommen, und Opapa und ich trauten uns sogar, unter uns kleine Witzchen zu machen: »War das nicht großartig, Opapa«, fragte ich zum Beispiel, »wie die alte Fregatte mit Volldampf das Kap rundete?«
»Und die Weiber hatten sich schon wieder in die Hosen gemacht!« bemerkte er stolz aufgerichtet.
Ich stieß ihn an, aber die Mama, die in der Bibliothek nebenan Staub wischte, hatte es schon gehört: »Ihr solltet euch was schämen, besonders du, Papa, wie kannst du so zu dem Jungen sprechen! Er schnappt sowieso immer viel zuviel auf und hat gar keinen Respekt. Ihr hättet lieber auf Jakob aufpassen sollen!«
Jakob, der Initiant des ganzen Zwischenfalls, war in den nächsten Wochen von geradezu auffallender Artigkeit, so daß wir schon für seine Gesundheit zu fürchten begannen.
Aber fahren wir nun in der Schilderung des Tageslaufes fort. Gegen Abend machte Jakob noch einmal, was wir die >große Runde< nannten, das heißt, er inspizierte sämtliche Zimmer. Es fing an mit einem sehnsüchtigen Blick auf den Mehlwurmtopf. Dann kam das Klavier dran. Ich hatte es manchmal aufgeschlossen, schon lange, bevor Jakob zu uns kam, und hatte immer ein paar Akkorde angeschlagen. »Der Junge ist musikalisch!« hatte Omama daraufhin festgestellt, und zu mir gewandt: »Willst du vielleicht Klavierstunde haben?« Ich hatte entsetzt protestiert. Ich wollte ja gar keine Stücke spielen, nur diese paar Akkorde, und hören, wie sie verklangen. Jakob saß dabei auf der Tastatur, und wenn ein Akkord
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