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Gute Nacht Jakob

Gute Nacht Jakob

Titel: Gute Nacht Jakob Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans G. Bentz
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bis ich mich wieder hingesetzt hatte, sprang dann auf meine Schulter und übersah von dort aus den Abendbrottisch wie ein Feldherr das Schlachtfeld. Vom Tisch selbst wurde er wegen der Kleckserei und »überhaupt aus hygienischen Gründen«, wie Ömama sich — für mich völlig unverständlich — ausdrückte, ferngehalten, bekam aber von jedem etwas angeboten. Jakob aber, aus Kenntnis des eigenen, zur Unterschlagung neigenden Charakters mißtrauisch, begnügte sich sehr oft nicht damit. Dann machte er eine Kletterpartie auf meinen Schlips, krallte sich dort fest, steckte mir den Schnabel in den Mund und sperrte ihn auf, auf diese Weise mein Innenleben daraufhin inspizierend, ob ich vielleicht irgend etwas gegessen hatte, was ihm vorenthalten wurde. Opapa nannte das Ganze eine »Schweinerei«, aber seinem Protest fehlte die nötige Wucht, und sehr bald siegte die allgemeine Heiterkeit. Opapa pflegte dann kopfschüttelnd zu sagen: »Jakob, du bist doch ein Nonplusultra!« Jakob hatte sich diese Bezeichnung mehrfach nachdenklich angehört und reproduzierte sie eines Tages leicht beschädigt als >Ultrus pultrus<, was Opapas helles Entzücken erregte.
    Ehe man es sich versah, war das Essen vorbei, der Tisch wurde abgeräumt, und wenn man nicht las, wurde wie früher ein Gesellschaftsspiel hervorgeholt. Es gab Kartenspiele, ferner eine Art Roulett, wobei gewaltige Mengen von Spielmarken in Form nachgemachter Goldstücke ausgezählt wurden, und schließlich ein Spiel, bei dem kleine bunte Plättchen mit Hilfe eines größeren Plättchens in einen Holztopf geknipst wurden. Wer seine Plättchen zuerst alle im Topf hatte, war Sieger. Wir kannten diese Spiele alle schon in- und auswendig, und die einzige Belebung darin war mitunter ein Streit zwischen Omama und Opapa. Opapa behauptete, daß Omama mogele, während sie ihrerseits darauf bestand, daß er farbenblind sei und sich doch mal untersuchen lassen müsse. Jetzt aber kam Schwung in die Sache, denn Jakob spielte mit! Extra seinetwegen wurde eine Wachstuchdecke angeschafft, von der man die Kleckse leicht abwischen konnte. Auf diese Weise war es möglich, ihn auf den Tisch zu setzen. Er marschierte dort gewichtig hin und her, riß uns beim Kartenspiel einen ängstlich gehüteten Trumpf aus der Hand oder nahm gerade das letzte der Plättchen fort, das man in den Topf hatte knipsen wollen. Auch hatte er ein ausgesprochenes Vergnügen daran, sich auf den Rand des Rouletts zu setzen und im entscheidenden Augenblick die Kugel zu klauen. Die Familie nahm ihm das nicht übel, jedenfalls hatte er immer fünfundsiebzig Prozent von ihr hinter sich, da sich nur der von seinem Eingriff Betroffene ärgerte, während die anderen drei vor Vergnügen kreischten.
    Anschließend spielte die Familie dann gewöhnlich noch eine Runde >Ärgern<. Dieses Spiel bestand darin, daß derjenige dem Jakob den Rücken zuwandte, ihn leicht am Schwanz ziepte. Jakob schoß wie eine Natter herum und fuhr mit Basiliskenblick auf den Sünder los. Bevor er ihn aber erreichen konnte, zupfte ihn schon ein anderer gegenüber, und so schoß er wie ein angestochener Eber fauchend über den Tisch hin und her, bis die Familie vor Lachen erschöpft war. Jakob war dann noch lange nicht müde. Er marschierte noch eine Weile vom einen zum andern und hielt provozierend sein gefiedertes Hinterteil hin.
    Inzwischen aber war man noch ein bißchen zur Lektüre übergegangen. Omama las, sich von Zeit zu Zeit gewaltig räuspernd, die Zeitung, wobei es passieren konnte, daß plötzlich vor ihren Augen der Zeitungsbogen zerriß und in der Öffnung Jakobs frecher Kopf erschien. Ihr Gesicht verzog sich dann zu einem gütigen Lächeln, sie kraulte ihn und sagte: »Jaköbchen, ich glaube, wir gehen ins Bett!«
    Daraufhin verzog sich Jakob sofort auf meine Stuhllehne, denn er hatte wie alle Kinder das Bestreben, möglichst lange bei den Erwachsenen zu bleiben, aus Angst, daß er etwas versäume. Auf der Lehne sitzend, überkam ihn aber dann doch die Ermüdung vom Spiel, und sehr bald sah man dort nur noch das übliche kopflose, einbeinige Vogel-Fragment, bis der allgemeine Aufbruch erfolgte. Ich tippte Jakob an, worauf er zunächst den Kopf herausholte, in das Licht blinzelte und dann sehr unwillig die heiße zweite Pfote aus dem Bauchgefieder holte und auf meine Hand setzte. Ich trug ihn den langen Flur hinunter in die Küche, gab ihm einen Kuß auf das glatte Köpfchen, steckte ihn in das Bauer und deckte ihn zu: »Gute Nacht,

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