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Gute Nacht Jakob

Gute Nacht Jakob

Titel: Gute Nacht Jakob Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans G. Bentz
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sie sich zu Valeska um: »Holen Sie eine Müllschaufel, kehren Sie das weg, und sehen Sie auch den anderen Helm nach, vielleicht hat er dort auch ein Depot angelegt. Wo ist er denn?«
    Während Opapa schnell seine Zigarrenspitzen vor Valeskas Müllschaufel in Sicherheit brachte, hoben die anderen erschrocken die Füße, es lag aber kein zertretener Jakob darunter.
    »Er ist zwischen euren Füßen durchgesaust«, sagte ich schließlich, »vielleicht ist er in der Küche.«
    Dort war er auch, er hatte sich in sein Bauer geflüchtet und die Tür hinter sich zugeriegelt. Als ich näher kam, sträubte er unaufgefordert die Tolle, senkte den Schnabel auf die Brust und büßte. Offenbar wollte er sich auf diese Weise um die Popohaue drücken. Es gelang ihm.

DER HUT

    Das war nicht der einzige stürmische Nachmittag, den Jakob uns bescherte. Kurz darauf spielte sich folgendes ab. Es war ein ungewöhnlich warmer Herbsttag. Die schon etwas durchsichtigen Sonnenstrahlen fielen auf den Balkon und wurden von dem Männertrio der Familie vollzählig genossen. Jakob arbeitete in einem der Blumenkästen. Er hatte ein Loch in die geplagte Erde gebohrt und würgte nun einige Mehlwurmleichen hinein; das Ganze war wohl als Vorratskammer für schlechte Zeiten gedacht.
    Ich versuchte derweilen das Wetterhäuschen zu reparieren. Es enthielt zwei Holzfiguren, einen vollbärtigen Förster, der schlechtes Wetter bedeutete, und eine Bäuerin mit rotem Kopftuch und Schürze, deren Austritt schönes Wetter anzeigte. Jakob hatte vor einigen Tagen die Apparatur untersucht mit dem Ergebnis, daß der Bäuerin der Kopf fehlte (wir fanden ihn Wochen später im Mehlwurmtopf) und der Förster infolge Verbiegung der drehbaren Achse wie angenagelt draußen stehenblieb, somit unentwegt und auf die Nerven fallend schlechtes Wetter prophezeiend. Opapa derweilen stand am Geländer, rauchte genüßlich eine Zigarre aus einer Kiste, die er vor drei Jahren zum Geburtstag bekam, hatte seinen Feldstecher umgehängt und musterte durch ihn ab und zu irgendein interessantes Ereignis auf der Straße oder hinter den gegenüberliegenden Fenstern.
    Jetzt sah er wieder etwas, legte die Zigarre vorsichtig auf das Balkongeländer und hob das Glas an die Augen. Ich hatte verzweifelt die Reparatur des Wetterhäuschens aufgegeben und mich damit begnügt, den Förster hinein- und die kopflose Bäuerin damit herauszuschieben. Jakob hatte seine Mehlwürmer beerdigt, kippelte auf dem Balkongeländer und tauschte Schimpfwörter mit den Spatzen, die in dem schon gefleckten Laub des nächsten Baumes lärmten. Dann bemerkte er plötzlich die Zigarre und beobachtete einige Augenblicke die blaue Rauchspirale, die sich aus der weißen Asche in die stille Luft wand. Ich ahnte, daß er einen neuen Unfug auf der Pfanne habe, aber die prickelnde Lust der Erwartung ließ mich schweigen.
    Mit einem leichten Hupf setzte sich Jakob neben die Zigarre, versuchte sie erst um die Mitte zu fassen und hielt sich dann, als sie sich als zu dick erwies, an das ziemlich zerkaute und von der großväterlichen Spucke befeuchtete Hinterende. Er versuchte es abzuschneiden, geriet aber dabei mit der Zunge in den weißlichen Rauchschwaden, welcher der Giftnudel entquoll.
    Pfui Teufel, schmeckte das! Jakob schüttelte sich, geriet ins Wanken, die Zigarre flog in den Abgrund, und er wäre beinahe hinterher geflogen. Opapa, der aus mir völlig unerfindlichen Gründen eine Dame beobachtete, die mit hochgerafftem Rock einer Pferdedroschke entstieg und die wir gar nicht kannten, setzte das Glas ab und sah verdutzt um sich.
    »Deine Zigarre...«, sagte ich. »Jakob hat sie ‘runtergeschmissen.«
    »Oh!« sagte er. »Jakob... du verdammter Lausejunge!«
    Dann hängten wir uns beide über das Geländer, während Jakob verdattert auf den Boden des Balkons sprang, dort den Schnabel aufsperrte und heftig schniefte.
    Unter uns lagen die großen Schaufenster des Warenhauses >Goldstein, Textilien und Gelegenheiten aller Art<. Vor einem dieser Fenster sahen wir einen Hut stehen. Man konnte es beim besten Willen nicht anders ausdrücken: es war eine Dame mit einem der damals üblichen gewaltigen Hüte, auf dem wir ein Stilleben aus Veilchentuffs, Kirschen, Bändern, Schleifen und zwei toten Vögeln entdeckten, die sich mit den Schnäbeln gegeneinander aufrichteten. Das Ganze hatte die Größe einer Aufschnittplatte für sechs Personen. Unterhalb des Hutes sah man nur noch eine Hand und ein Stückchen Arm, beides in einem

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