Gute Nacht Jakob
gerade noch einmal die Runde durch die Zimmer machten, fuhr Onkel Gustl mit dem >Hohen Gast< vor. Ciglasch thronte auf dem Bock, tadellos rasiert, in sauberer Uniform und zumindest dreiviertel nüchtern. Lisi und Grete waren so gestriegelt, daß sich der Himmel in ihren blanken und schweißigen Kruppen spiegelte, das Zaumzeug blinkte, Ciglasch zog mit einem martialischen »Brrr!« die Zügel an, dann sprang er schnell wie ein Affe vom Bock, rannte um den Wagen herum, öffnete den Schlag und zog die Mütze.
Heraus stieg der Gefürchtete. Aus irgendeinem märchenhaften Grunde hatte ich ihn mir als eine Art Admiral vorgestellt, mit einem Federhut und die ganze linke Brustseite voller Orden. Statt dessen erschien ein verbitterter Oberlehrer mit Bürstenhaar in einer fast schäbigen Uniform. Onkel Gustl dahinter in seiner neuen Uniform, den blitzenden Gamaschen und dem hochgebürsteten schwarzen Schnurrbart, den er die ganze Nacht über in der Schnurrbartbinde gehabt hatte, sah wie ein Fürst aus. Es schmerzte mich in der Seele, als er dem Oberlehrer den Vortritt ließ. Ich drehte mich von der Gardine, hinter der ich lauerte, zur Mama um: »Du... der sieht scheußlich aus... wie Pupkü!« Das war unser Lateinlehrer, der normalerweise Dr. von Graebernitz hieß, acht Kinder hatte und an Blähungen litt. Er kaschierte das immer, indem er gleichzeitig mit dem Stuhl rückte, aber manchmal klappte die Regie nicht, und dann hörte man es doch.
Im Hause riß Marischka dem Forstrat den Hut aus der Hand und nahm ihm den Stock ab. Er küßte den Damen die Hand und wurde in den Salon geleitet, wo ihn die Mama bewachte, während Tante Jenny schnell nach hinten zu Onkel Gustl rannte, der erklärt hatte, er wolle sich noch einmal die Hände waschen. Ich schlich angstvoll hinter ihr her. Dann hörte ich, wie sie ebenso angstvoll ihren Mann fragte: »Wie war’s? Schnell!«
Onkel Gustl hatte eine ganz ungewohnt scharfe Falte über der Nase: »Ach... es ging. Nur wegen der Holzabfälle im Sägewerk hat er gemeckert, daß ich sie den armen Leuten zu billig gäbe, dieser Scheißkerl! Mit den paar Pfennigen will er sich bei der gräflichen Verwaltung beliebt machen! Man sollte ihm seinen dicken Hintern mit den Holzabfällen ausstopfen!«
Ich schlich mich wieder weg, ehe ich entdeckt wurde, und stellte mir vor, wie es wäre, wenn man ihm tatsächlich die Holzsplitter hinten hineinsteckte. Bei den Holzsplittern fiel mir Jakob ein, ich rannte, Böses ahnend, in die Küche. Aber es war nichts Besonderes los, er saß in einer Ecke und hatte von Anuschka ein paar Erbsen zum Spielen bekommen. Er war restlos glücklich damit. Ich nahm ihn auf die Hand und ging mit ihm nach vorn.
Dort waren jetzt alle vier Erwachsenen versammelt und standen unbehaglich herum. Mein Auftritt wurde mit sichtlicher Erleichterung begrüßt. Ich machte meinen Diener, sagte: »Küß die Hand, Herr Forstrat!« und dann wartete ich, was er zu Jakob sagen würde.
Er nahm jedoch verletzend wenig Notiz von ihm: »Eine Dolde, hm... hier aus dem Forst?«
Onkel Gustl erklärte sofort, daß es sich nicht um eine gräfliche Dohle, sondern um ein norddeutsches Individuum handele, und daß die Dohlen dort unter Naturschutz stünden. Der Forstrat sagte dazu: »Ach... hm?« und dann fragte er mich, in welcher Klasse ich sei und was für Zensuren ich das letztemal bekommen habe.
Ich setzte sämtliche Noten um eine Nummer herauf, worauf der Forstrat beifällig mit dem Kopf nickte und sagte, man sähe es mir an, daß ich ein guter Schüler sei.
»Schulmeister!« erklärte Jakob erschreckend deutlich. Der Forstrat zog die Augenbrauen hoch und war erstaunt. Ich beeilte mich, die Entstehung des Wortes zu erläutern: »Es ist nicht etwa, weil Sie mich nach den Zensuren gefragt haben!« versicherte ich zum Schluß. Das schien nicht ganz diplomatisch zu sein, jedenfalls grinste Onkel Gustl für einen Moment unter seinem Schnurrbart, und Tante Jenny sagte ziemlich hastig: »Ich glaube, wir gehen besser hinüber zum Essen!«
Die Mama hatte die Tafel verschwenderisch mit Blumen geschmückt. Das war in Österreich ebenso ungewohnt wie Soße zum Braten. Der Forstrat setzte den Kneifer auf, musterte die Blumen und sagte: »Ah... scharmant!« und steckte den Kneifer wieder ein. »Wo ist denn Ihr Töchterchen?« fragte er dann Tante Jenny.
In diesem Augenblick kam Jessika hinter Marischka herein, die mit der Suppe erschien. Man setzte sich zu Tisch. Vorher machte Jessika, die saubere Schleifen
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