Gute Nacht, mein Geliebter
Leinentasche, bedruckt mit den Worten Lüdings Verlag und einem Firmenzeichen, das aus ein paar Buchrücken bestand. Sie lag achtlos hingeworfen an der Wand, und Justine erinnerte sich jetzt, dass Berit Blumen und eine Flasche Wein mitgebracht hatte. Sie fühlte sich vollkommen leer.
Sie faltete die blaue Tasche zusammen und legte auch sie in den Kleiderschrank.
Den Rest des Tages verbrachte sie mit Hans Peter. Es gelang ihr, alles andere zu verdrängen. Sie hatte an ihn gedacht, er hatte begonnen, einen Platz in ihrem Denken einzunehmen. Sie wurde von Zärtlichkeit erfüllt, wenn sie an sein Schlüsselbein, seinen Hals, seine Hände dachte. Es war nicht wie bei Nathan, das hier war sanfter, zärtlicher. Er schenkte ihr eine Art fröhlicher Zufriedenheit.
Sie hatte vorgehabt, sich Berits Tasche anzunehmen, sobald er gegangen war, aber ihr fehlte die Kraft dazu. Die Müdigkeit traf sie wie ein Schlag, sie legte sich ins Bett, sein Geruch hing in den Laken, seine Nähe.
Montagvormittag rief Tor Assarsson wieder an.
»Ich kann einfach nicht arbeiten gehen«, sagte er. »Ich habe wirklich gehofft, dass Sie zu Hause sind.«
»Ja, ich bin zu Hause.«
»Es ist zum Verzweifeln, das Ganze ist einfach zum Verzweifeln.«
»Das verstehe ich. Sie haben also nichts Neues gehört?«
»Nein.«
»Vielleicht, wenn die Post kommt. Sie hat Ihnen vielleicht schon einen Brief geschrieben, aus Rom oder Tobago. Vielleicht hat sie sich einfach nur aus dem Staub gemacht, um ein wenig Distanz zu bekommen.«
»Glauben Sie wirklich?«
»Undenkbar ist es jedenfalls nicht.«
»Vielleicht haben Sie Recht. Ich hoffe es.«
Er sagte, dass er zu ihr kommen und mit ihr sprechen müsse. Es gelang ihr, seinen Besuch hinauszuzögern, er solle erst einmal die Post abwarten, sagte sie, wann kommt die immer?
Er sagte, dass er es nicht wisse. Er war ja in der Woche nie zu Hause.
Schließlich versprach sie ihm, ihn nach dem Mittagessen zu empfangen.
Sie dachte an Hans Peter.
Aber jetzt waren erst einmal die Taschen an der Reihe. Sie hatte gehofft, die Taschen hätten sich auf wundersame Weise in Luft aufgelöst, als sie die Schranktür öffnete, was aber natürlich nicht der Fall war. Berits große Ledertasche stand auf Justines Turnschuhen, genau dort, wo Berit sie abgestellt hatte.
Ihre Kopfschmerzen kehrten wieder.
Sie setzte sich mit einer Schere auf den Fußboden. Sie hatte vor, die ganze Tasche in winzig kleine Stücke zu schneiden, die Tasche und ihren Inhalt. Als sie die Tasche in der Hand hielt, wie Berit sie immer gehalten hatte, wurde ihr klar, dass dies nicht leicht werden würde. Justine wollte sie nicht öffnen, wusste aber, dass sie es musste, die kleinen Metallbügel knipsten, und die Tasche gähnte ihr mit ihrem dunklen und geheimen Innenleben entgegen. Die Sachen der Besitzerin, ihr Leben.
Zuoberst lag ein Stofftaschentuch mit schwachen Lippenstiftspuren, dann all das andere, was sie nicht sehen wollte, aber sehen musste, all die persönlichen Gegenstände und Dinge, die nun das Bild Berits wieder in ihrem Haus lebendig werden ließen. Eine Brieftasche, an den Rändern abgenutzt, die Fächer mit der Scheckkarte, der Krankenkassenkarte, American Express, ein Mitgliedsausweis des Verlegerverbands, der vor einigen Jahren abgelaufen war. Justine klappte eine Ecke um, und die Augen von drei Menschen trafen ihre: die Augen Tors und der Söhne noch als Schuljungen. Im Fach für die Geldscheine befanden sich fast tausend Kronen. Mit den Geldscheinen fing sie an, zerschnitt sie in schmale Streifen, dann die Fotos, die Plastikkarten und all die kleinen Zettel und Quittungen, die sich im Fach hinter den Geldscheinen befanden. Anschließend nahm sie den Kalender, blätterte ihn schnell durch und las sporadisch auftauchende Notizen, Zahnarzt 13.40, vergiss den Schuster nicht. Am Boden der Tasche lag lose Berits Führerschein. Sie sah sich auf dem Foto nicht ähnlich, es war ein altes Bild, auf dem Berit die Haare zu einem Dutt hochgesteckt hatte, was sie alt aussehen ließ. Schlüssel, Kamm, Spiegel und Lippenstift, sie sammelte alles in einer Tüte, versuchte eine Weile, den Kamm mittendurch zu brechen, es war ein hellblauer Plastikkamm mit Stiel, sie bot all ihre Kräfte auf, aber das Plastik hielt, ein kleiner Parfümflacon, Nuits indiennes, sie wickelte ihn in Frischhaltefolie, um den Duft zu dämpfen, das Feuerzeug stand auf dem Tisch. Dort lag auch die Schachtel Zigaretten, fünf, sechs Zigaretten waren übrig geblieben, sie
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