Gute Nacht, mein Geliebter
Menge Dummköpfe.«
Justine lachte und erhob wieder ihr Glas.
»Trinken wir auf sie!«, sagte sie. »Trinken wir auf die Dummköpfe!«
Nach einer Weile fragte sie, wie die Sache mit ihrer Arbeit ausgegangen war.
»Hat man dich jetzt entlassen, oder was hat es gegeben?«
»Der Verlag zieht nach Luleå um. Mein Chef sagt, dass wir mitkommen können. Aber wer will schon nach Luleå?«
»Hast du denn eine Wahl?«
»Ich weiß nicht … Ich weiß gar nichts mehr … Ich kann nachts nicht schlafen, ich …«
Und ihr kamen die Tränen, schwächten sie und lieferten sie aus.
»Ich komme anscheinend immer hierher und … flenne.«
»Du hast eben auch an einem Stück Verzweiflung zu tragen, wie wir alle …«
Sie streckte ihren Arm aus und ließ ein gurrendes Geräusch ertönen. Der Vogel am Fenster machte ein paar trippelnde Schritte und flog dann mit plumpen Flügelschlägen zu ihr.
»Auch der Vogel«, sagte sie. »Er sehnt sich nach einem Weibchen. Er versteht es nicht richtig, aber in ihm wächst etwas, lässt ihn schwach werden. Bald wird es hell, bald kommt der Frühling. Dann wächst diese Sehnsucht in Form von Wehmut, so ist es bei allen, die leben.«
»Justine … Als wir klein waren.«
Sie weinte hemmungslos, kam ins Stocken.
Justine sagte schnell:
»Erzähl mir von deinen Söhnen.«
»Meinen … Söhnen?«
»Ja. Wie leben sie ihr Leben, diese jungen Menschen, die noch alles vor sich haben? Kennen auch sie so etwas wie Wehmut?«
Berit fischte ein paar Papiertaschentücher aus ihrer Handtasche, putzte sich die Nase, ihr Kopf pochte.
»Wehmut? Oh nein, das glaube ich nicht.«
»Arbeiten sie?«
»Sie … sie studieren beide. Aber sie wissen noch nicht, was sie werden wollen. Auf jeden Fall nichts in der Verlagsbranche, davon habe ich ihnen abgeraten.«
»Haben sie Freundinnen?«
Sie nickte.
»Aber die kommen aus einer ganz anderen Welt. Jung, schlank, schön. Wenn ich sie sehe, empfinde ich mehr denn je, dass ich passé bin.«
Justine setzte den Vogel zwischen ihnen auf den Tisch. Er wandte Berit den Schnabel zu und zischte.
»Mein Gott, Justine … kannst du ihn nicht …«
»Du hast Angst vor ihm. Er merkt das sofort. Versuch einmal, natürlich zu sein, entspann dich.«
Berit trank von ihrem Wein, streckte anschließend zögernd ihre Hand aus. Der Vogel öffnete den Schnabel, und sein Inneres war rot und groß.
»Er durchschaut mich«, flüsterte sie. »Er mag mich nicht.«
»Doch. Ignoriere ihn einfach. Na ja, ich kann ihn natürlich auch woanders absetzen.«
Sie stand auf und humpelte zum Bücherregal. Der Vogel folgte ihr, setzte sich auf ihre Hand. Sie hob ihn auf das oberste Regalbrett, und er nahm dort Platz wie ein brütendes Tier aus grauer Vorzeit.
Die Felsen, der runde Berg, Justines Körper. Die Jacke über den Kopf, sie hatte begonnen, Brüste zu bekommen, sie waren schon groß. Dieses Mädchen, das ein Pflegekind war, wie sie sich rittlings auf Justine setzte und anfing, ihr die Hose auszuziehen. Wie sich dann alles veränderte, denn Justine machte sich frei und begann zu laufen, rutschte aber aus und fiel der Länge nach auf die Felsplatten.
Wie sie dann liefen, liefen.
»Wir haben sie umgebracht.«
»Wir hauen ab.«
»Bist du verrückt, wir müssen jemand holen, ihre Mutter.«
»Nein, nein, wir hauen ab.«
»Das können wir nicht tun. Wir müssen Hilfe holen.«
»Dann bist du selber schuld, verdammte Scheiße. Wenn sie uns verpetzt!«
Gerda hieß sie, der Name tauchte plötzlich einfach auf. Es war Gerda, die sie dazu gebracht hatte, zum Haus zu laufen.
»Wir sagen, dass sie gestolpert ist, dass wir gespielt haben, dass sie einfach gefallen ist.«
Sie klingelten Sturm an der Türklingel, wieder und immer wieder. Nach einer Weile stand Justines Mama da, den Kopf voller Lockenwickler. Sie sah die beiden misstrauisch an. Sie sagte, sie habe es eilig.
Sie mussten warten, während sie ihr Haar in Ordnung brachte, mussten im Flur stehen bleiben, der Geruch von Shampoo und Rauch. Die Frau griff sich ihren Mantel, starrte hinten auf ihre Wade.
»Jetzt seht euch den Strumpf an! So ein Mist!«
»Komm jetzt, Tante …« Gerda griff nach dem Mantel. Dass sie sich das traute.
»Wo ist es denn?«
»Da hinten bei den Felsen.«
»Wie oft habe ich gesagt, dass ihr vorsichtig sein sollt. Sie hört nie, und ihr seid offensichtlich genauso ungehorsam.«
Genau dieses Wort. Ungehorsam. Sie schimpfte im Gehen vor sich hin. Gummistiefel und Mantel. Justine ausgestreckt auf
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