Gute Nacht, mein Geliebter
es leise regnete.
»Hörst du die Amsel da draußen?«, flüsterte sie.
»Du meinst die Drosseln.«
»Hörst du ihren Gesang?«
»Warum machst du mich nur so schwach, warum machst du mich …?«
Der Stoff hob sich an ihrem Schenkel.
»Doch nicht so schwach … oder?«
Momente des Lachens, des Glücks. Als er sie wie einen zarten und flatternden Schmetterling hochhob. Sie zwischen den Wänden umherwirbelte. Ihre Blätter öffnete. Sie war jedes Mal überrascht, sie war schmal wie ein Schilfrohr und er …
»Ich glaube, du spaltest mich …«
Doch in diesem Moment, in diesem weißen Augenblick, vermochte er nicht zuzuhören, war er wie ein zappelnder Fisch, Glitzern auf ihrem Bauch.
Danach stand er auf und schrumpfte.
Eines Tages musste sie ihm von der Insel erzählen.
»Wir reisen morgen in die Schären. Wir werden dort einige Zeit verbringen. In einem alten Haus, das meinen Großeitern gehört hat. Es liegt auf einer Insel. Wir müssen mit dem Boot fahren. Nur so kommt man dahin.«
Wenn sie geglaubt hatte, er würde verstummen, sah sie sich getäuscht.
Alles wollte er wissen.
»Papa hat sich freigenommen. Wir werden dort eine Weile wohnen. Es gibt nur wenige Häuser auf der Insel, nur ein paar, Lebensmittel kommen mit dem Schärenboot. Trotzdem gibt es Leute, die das ganze Jahr dort wohnen, ob sie wohl fischen, wie kommen sie zurecht? Ich darf mir eins der Zimmer einrichten, es wird mein Zimmer, ich darf beim Streichen helfen. Papa hat Tapetenmuster mitgebracht, ich hab mir schon was ausgesucht.«
Er sah sie mit ernster Miene an.
»Ich möchte, dass du mir jetzt gut zuhörst. Ich werde fort sein, wenn du zurückkommst, und in gewisser Weise bist du es, die mich dazu zwingt, aber ich gebe dir keine Schuld. Keine, überhaupt keine Schuld.«
Sie war zu sehr von der Zukunft erfüllt, um richtig zuzuhören. Sie saß auf seinem Schoß, streichelte seine weichen Ohren.
»Wenn die Äpfel reif sind, werden wir sie pflücken, und ich werde dich in einen Apfelkuchen einbacken und dich unbeschadet ausschneiden. Dann werde ich dich mit Eis und Vanillesoße aufessen. Aber jetzt muss ich nach Hause.«
18. KAPITEL
Svens Eltern hatten Flora immer wieder überrascht. Sie hatten etwas Vulgäres an sich, etwas, das nicht zu ihrer gesellschaftlichen Stellung oder Klasse passte. Beide waren hoch gewachsen und laut, ihr Schwiegervater war zudem noch schwerhörig, was zur Folge hatte, dass ihre Schwiegermutter noch lauter sprechen musste, damit er sie verstand. Beide drückten sich grob und ungehobelt aus und schienen dies zu tun, um zu schockieren. Mit kindlicher Vorfreude betrachteten sie ihre Umgebung, warteten auf Reaktionen.
Sven hatte sie vorgewarnt.
»Sie sind etwas eigen, ich wollte es dir nur sagen, damit du Bescheid weißt.«
In der Zeit, als sie noch als Sekretärin arbeitete, war Ivar Dalvik mehrmals ins Büro gekommen, und sie waren einander vorgestellt worden. Er hatte fest ihre Hand gedrückt und zweimal nachgefragt, wie sie heiße.
»So so, Flora … Kann man das Fräulein etwa aufschlagen?«, hatte er gescherzt. »Falls man mehr über das innere Wesen der Blume erfahren will?«
Mit dieser Art von Humor tat sie sich schwer.
Ihre werdende Schwiegermutter traf sie erst, als sie schon mit Sven verlobt war.
Sie hatte nie das Gefühl, von ihnen wirklich akzeptiert zu werden. Sven und sie sprachen von Zeit zu Zeit darüber. Er verstand sie nicht, war der Meinung, dass sie die Angelegenheit zu ernst nahm.
»Sie finden, dass ich zu einfach bin für ihren feinen Sohn, darum geht es.«
»Nein, Flora, das stimmt nicht, in Wirklichkeit ist es ihnen völlig egal, wen ich zu meiner Frau mache. Ich weiß, das klingt seltsam, aber es ist so. Sie sind, wie sie sind, zwei egozentrische alte Menschen, kümmere dich einfach nicht um sie. Wir leben unser Leben, sie leben ihres.«
Es half nichts. Sie hatte trotzdem das Gefühl, nicht zu taugen. So als hätte sie lauter auftreten sollen, mit weitschweifigen Gesten, ungefähr wie sie.
Besonders viel Kontakt hatte sie im Grunde nicht zu ihnen. Aber auch das konnte man so und so sehen. Auf der einen Seite verachtete sie die beiden. Auf der anderen Seite hätte sie sich gewünscht, von ihnen als die umtriebige und tüchtige Frau gesehen und anerkannt zu werden, die sie war.
Sie waren vernarrt in Justine und schickten ihr kleine Geschenke, aber wenn sie Justine dann einmal trafen, überhäuften sie das Mädchen mit Fragen, hatten aber nicht die Geduld, ihre
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