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Gute Nacht, mein Geliebter

Titel: Gute Nacht, mein Geliebter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inger Frimansson
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hatten ihr einen Apparat gekauft und ihn am Bett aufstellen lassen. Es lief gerade ein Programm über Wintersport, vielleicht irgendein Wettkampf, laute Musik. Junge, starke Menschen, die auf Skischanzen und Eisflächen vorbeiflimmerten. Es tat weh, sie zu sehen. Sie schloss die Augen. Sie taten ihr weh, als wäre sie auf dem besten Wege, krank zu werden.
    Dann wurde es auf einmal still. Eine Weißhose war hereingekommen und hatte Märta Bengtsson dazu gebracht, sich den Kopfhörer aufzusetzen. Jetzt gab es nur noch ein flackerndes Schimmern, ohne Ton.
    Ja, es wäre gut, krank zu werden, Fieber zu bekommen. Dann würde man sie isolieren. Und das würde Justine daran hindern, sie zu besuchen, sie mitzunehmen. Die Höllenfahrt mit dem Auto steckte ihr immer noch in den Knochen. Wie ein Schwindelgefühl, wie eine langsam wachsende Vorahnung.
    Ich will auf meine Art sterben.
    Aber ich will gar nicht sterben … Ich will leben.
     
    Justine benahm sich seltsam draußen auf der Insel. So konnte sie auf einem Stuhl in der Küche sitzen und im nächsten Augenblick eingeschlafen sein, der Kopf auf den Tisch gesunken. Säuselte und schlief.
    »Was ist los mit dir, du sitzt da und schläfst einfach ein?«, fragte Flora.
    Da blickte sie starr auf, und ihre Pupillen irrten umher, als wären sie ohne Halt.
    Flora dachte an Drogen, sie näherte sich der gekrümmten Gestalt, nahm aber keinen Geruch wahr, nur eine Distanz, ein starkes elektrisches Feld.
    Justine hatte sich darauf gefreut, ihnen beim Tapezieren zu helfen. Plötzlich hatte sie keine Kraft mehr dazu, musste sich am helllichten Tag hinlegen. Lag auf dem Rücken, schlief und schnarchte wie ein Erwachsener oder ein sehr alter Mensch. Ihre Haut wurde blass und schlaff, Pickel bildeten sich an Schultern und Hals. Sie juckten, Justine kratzte sich und zog an ihnen, bis sie schließlich aufplatzten.
    »Es ist doch nichts Ungewöhnliches, dass sie müde ist«, sagte Sven, was Flora wunderte. Sonst rief er doch schon beim kleinsten Niesen des Mädchens einen Arzt.
    »Warum sollte sie müder sein als wir?«
    »Ach, du weißt schon, die Hormone. Sie ist in einem schwierigen Alter.«
    In Svens Augen war Justine ununterbrochen in einem sensiblen und schwierigen Alter. Eines Morgens hörte sie Geräusche aus dem Badezimmer. Flora war allein mit dem Mädchen, Sven war mit dem Boot rausgefahren. Sie stand im Flur, die Tür zum Badezimmer war einen Spalt weit geöffnet, dort hockte das Mädchen, mit dem Kopf über der Toilette.
    Als sie herauskam, war ihr Gesicht aufgedunsen und sehr blass. Sie war auf dem Weg in ihr Zimmer, als Flora sie am Arm packte.
    »Lass mich dich ansehen! Lass mich in deine Augen sehen.«
    Das Mädchen drehte sich zu ihr um wie eine Schlafwandlerin. Und im tiefsten Innern der grün schimmernden Iris erkannte Flora die Schwindel erregende Antwort. Es war genau, wie sie gedacht hatte, das pubertierende Mädchen war schwanger.
     
    Flora bedrängte sie mit Fragen, ließ ihr keine Ruhe. Wer hatte ihr das angetan, sie mit Gewalt genommen?
    »Niemand«, weinte sie, und Rotze klebte ihr auf der Oberlippe. »Niemand hat mich mit Gewalt genommen.«
    »Verdammter Rotzlöffel, du bist ja selbst nicht mehr als ein Kind!«
    Sven stand zwischen den Farbeimern, mit krummem Rücken und groß.
    »Lass sie jetzt in Ruhe!«, schrie er. »Lass sie in Ruhe!«
    »Aber begreifst du denn nicht! Sie muss ins Krankenhaus, es muss weggemacht werden!«
    Er beließ es längst nicht mehr bei Bitten. Er erhob seine Stimme zu einem rhythmischen Brüllen:
    »Ich-befehle-dass-du-meine-Tochter-in Ruhe-lässt!«
    Auch er wurde dort auf der Insel so seltsam.
    Jedenfalls brachten seine Worte sie dazu, einfach alles stehen und liegen zu lassen und mit dem Boot zurück in die Stadt zu fahren.
     
    Sie rief ihre Schwester Viola an, die in der Parfümerie des Kaufhauses NK arbeitete. Sie sagte ihr, dass sie sich entzweit hätten, sie und Sven, dass sie ein wenig Abstand brauche. Dass sie Zeit benötige, um nachzudenken.
    Sie konnte in der Wohnung ihrer Schwester wohnen, einer Dreizimmerwohnung auf der Östermalmsgata. Tagsüber war sie allein, gegen Abend kam Viola nach Hause, dann gingen sie aus und aßen in einem Restaurant.
    Eine Glaskuppel schien sie zu umschließen.
    Die Tage waren sonnendurchglüht, der Asphalt heiß und staubig. Nichts davon drang zu ihr durch. Sie saß nur da und lauschte den kleinen Erzählungen der Schwester aus der Welt der Parfüms.
    »Ich werde dir die Haare tönen«, sagte

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