Gute Nacht, mein Geliebter
durch die Gegend.«
»Das hast du schon tausendmal erzählt, Kjell, wir wissen, was los ist.«
»Man hat seinen Beitrag an die Gewerkschaft gezahlt, aber nicht einmal die Gewerkschaft …«
Hans Peter wusste, dass einem nichts anderes übrig blieb, als in das gleiche Horn zu stoßen, was er auch tat. Er blieb noch etwa eine Stunde sitzen, dann stand er auf und sah auf die Uhr.
»Jetzt muss ich aber unbedingt los, wenn ich nicht zu spät kommen will. Tausend Dank für alles und noch einen schönen Geburtstag weiterhin!«
Zu spät fiel ihm ein, dass der Geburtstag schon gewesen war.
Er reichte seinem Vater die Hand. Sein Vater nahm sie und drückte sie fest. Er schien etwas sagen zu wollen. Dann aber räusperte er sich und schob die Hände in die ausgebeulten Taschen seiner Strickjacke.
»Alles Gute, HP, schön, dass du gekommen bist.«
»Nenn ihn bei seinem richtigen Namen«, sagte seine Mutter.
Die Mutter ging zu Hans Peter und umarmte ihn kurz. Sie war einen Kopf kürzer als er. Er betrachtete sie. Ihr Haar hatte begonnen, dünn zu werden. Er konnte die weiße Kopfhaut erkennen. Schnell drückte er sie an sich.
Hans Peter nahm den Pendelzug bis zum U-Bahnhof und spazierte anschließend zum Hotel. Es hatte aufgehört zu regnen, er sehnte sich nach frischer Luft.
Im Hotelfoyer war Ariadne gerade mit dem Aquarium beschäftigt. Sie war heute spät dran. Sie berichtete, dass ihre Tochter krank war und sie deshalb auf ihren Mann warten musste. Sie stand über das Aquarium gebeugt, trug eine blaue, hauteng sitzende Jeans.
Er nahm das Gästebuch und blätterte zerstreut darin.
»Was hat deine Tochter denn?«, fragte er.
»Ich glaube, es ist diese Grippe.«
Sie hing mit dem Arm im Aquarium, fuhr mit dem Schlauch über den Grund und saugte die dünnen, wurmförmigen Fäkalien der Fische auf.
»Ich habe Ulf gesagt, er soll große Fische kaufen«, sagte sie ärgerlich. »Er behauptet, dass sie sich hier nicht wohl fühlen würden. Das tun sie doch. Sie fühlen sich wohl, ich weiß es, ich habe Ulf gesagt, dass ich es weiß. Er sagte, nein, die Großen fühlen sich nicht wohl.«
Plötzlich ging sie ihm auf die Nerven. Er wollte endlich seine Ruhe haben. Er fragte sich, ob sie mit allen Zimmern fertig war, das war sie wahrscheinlich, das Aquarium machte sie immer zuletzt, bevor sie nach Hause fuhr.
»Sind die Zimmer alle fertig?«, fragte er.
Sie drehte sich um, und ihre Augen waren braun und fragend.
»Die Zimmer?«
»Ja?«
Er dachte, dass sie nicht solche hauteng sitzenden Hosen tragen sollte. Eine Frage schoss ihm durch den Kopf, wie war wohl ihr Mann? War er gut zu ihr?
»Schon gut«, sagte er gereizt. »Ich habe nur laut gedacht.«
Sie wandte sich wieder dem Aquarium zu, hatte Zeitungen auf dem Fußboden ausgebreitet, um nichts nass zu spritzen. Hans Peter hatte das Buch in seiner Tasche, jenes Buch, das er sich von Justine hatte ausleihen dürfen. Sobald Ariadne gegangen war, würde er hineinschauen. Er sehnte sich danach, es anfassen zu dürfen. Ein eigenartiges Gefühl hatte Besitz von ihm ergriffen, ein Gefühl von Feierlichkeit. Mit vorsichtigen Händen hatte er das Buch in seine Aktentasche gelegt, so als wäre es etwas Empfindliches und Zerbrechliches. Schon nach wenigen Tagen hatte er es ausgelesen gehabt, und nun malte er sich aus, wie er zu ihr zurückkehren und ihr das Buch zurückgeben würde, er wollte die Zeit, in der das Buch bei ihm war, in die Länge ziehen, um sich vorstellen zu können, wie es sein würde, wenn er wieder zu ihr ging.
Das Buch hatte ihn tief berührt. Es handelte von einem Mann mittleren Alters, Dubin, der Biografien schrieb und eines Tages begann, sein eigenes Leben zu betrachten. Es gab eine Ähnlichkeit zwischen Dubin und ihm selbst, die ihn beunruhigte. So als hätte er nie wirklich gelebt, so als wäre das Leben dabei, ihm durch die Finger zu rinnen, ohne dass er etwas tun konnte, um es aufzuhalten. Er sehnte sich danach, mit Justine über das Buch sprechen zu dürfen, er kannte sie nicht, aber er hatte ihren nackten Fuß berührt, ihn auf seinem Schoß in den Händen gehalten und gewärmt.
Ariadne legte die Deckscheibe wieder auf und rollte den dicken, grünen Gummischlauch zusammen. Sie sah traurig aus.
»Ich kann die Zeitungen für dich wegräumen«, sagte Hans Peter.
Sie machte eine erschöpfte Geste.
Er hockte sich hin und faltete die Zeitungen zusammen. Sie waren nass, auf einer von ihnen lag eine schwarz gewordene und schmierige Wasserpflanze.
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