Gute Nacht, mein Geliebter
vertrieb den Hunger.
Justine versuchte, ihr verfilztes, nasses Haar zu ordnen. Der Mann lächelte sie kurz und scheu an, schaute dann weg.
»Mahd wird auf die Jagd gehen«, sagte Ben.
»Und was wird er jagen?«
»Irgendetwas, was sich essen lässt, einen Affen vielleicht oder ein kleines Schwein.«
»Kann man Affen essen?«
»Natürlich kann man das.«
Sein Blasrohr stand an einen Baum gelehnt. Als sie danach griff, fiel es um. Sie beeilte sich, es wieder hinzustellen.
Der Mann namens Mahd holte einen Pfeil aus seinem Holzköcher hervor.
»Ist er giftig?«, fragte sie.
»Ja«, sagte Ben.
Sie kratzte sich heftig die Arme. In der Nacht hatte sie eine Menge kleiner, juckender Bisse abbekommen. Sie glaubte, dass es Ameisen waren. Als sie aus dem Schlafsack kroch, sah sie eine Ameisenstraße genau dort verlaufen, wo sie lagen.
»Hast du Lust, ihn bei der Jagd zu begleiten?«
»Hat er denn nichts dagegen?«
Ben sagte etwas zu Mahd. Mahd grinste. Seine Zähne waren lang und standen unregelmäßig. Er beugte sich über seinen Köcher.
»Er sagt, dass er nichts dagegen habe.«
Er lief wie ein Wiesel durch das Unterholz. Obwohl sie fast nicht geschlafen hatte, fühlte sie sich stark. Sie folgte ihm, versuchte, sich so lautlos wie möglich zu bewegen. Ab und zu drehte er sich um, um zu sehen, ob sie noch da war. Sie gingen ein Stück den Fluss entlang. Die Hitze kehrte allmählich zurück, die Sonne glitzerte auf den dunklen, grünen Blättern. Der Nebel verzog sich mehr und mehr.
Er wählte Wege, auf denen auch sie problemlos gehen konnte. Er hielt ihr die Zweige aus dem Weg. Einmal packte er sie am Handgelenk und zog sie eine Anhöhe hinauf. Er war nicht sehr groß. Er war sehr stark. Sie hatte Lust, ihm etwas zu sagen, aber er sprach kein Englisch. Sie ging und dachte an eine Zeichensprache, als der Mann plötzlich stehen blieb. Justine erstarrte, mitten in einem Schritt. Sie nahm seinen Geruch wahr, der aus Tabak und noch etwas anderem bestand, es erinnerte vage an Vanille.
Langsam hob er die Hand, zeigte zwischen den Sträuchern in eine Richtung. Sie sah nichts. Er setzte das Rohr an seine Lippen, sie hielt den Atem an, sah, wie sein Brustkorb kurz zuckte. Unmittelbar darauf hörte man einen schrillen und erstickten Schrei. Es klang, als käme er von einem Kind. Die Augen des Manns waren jetzt blutunterlaufen. Er zog kurz eine Grimasse, entspannte sich dann.
Ein Körper lag am Wasser. Der Körper war ein Tier. Als sie näher kam, sah sie, dass es ein kleines Wildschwein war. Der Pfeil hatte seinen Hals durchbohrt. Mahd sagte etwas zu ihr, sie konnte es nicht verstehen. Dann ahmte er das Grunzen eines Schweins nach. Sie streckte die Hand aus und strich über die raue, lehmige Haut. Die Augen des Tieres waren weit geöffnet. Sie hatte das Gefühl, als würden diese Augen sie ansehen.
Sie fühlte etwas Hartes an ihrem Arm. Das Blasrohr. Mahd gab ihr durch Gesten zu verstehen, dass sie es ausprobieren solle. Er war voller Eifer. Sie sah sich um, zuckte mit den Schultern.
Er zeigte auf einen Baum, dessen Äste sich zum Wasser neigten. Er ging zu dem Baum. Auf einen abgebrochenen Ast setzte er seinen braunen, flachen Gummischuh. Er kehrte zu ihr zurück und zeigte ihr, wie sie das Rohr halten musste, zeigte auf den Schuh und lachte, fasste sich an die Knie und lachte wieder.
Das Rohr war lang, aber leichter, als sie geglaubt hatte. An der einen Seite, wo man hineinblies, saß ein getrockneter Klumpen Harz. Ein einfaches Muster war gleich darunter in die Rinde geritzt worden. Die Luft war voller Geräusche, die Hitze presste sich gegen ihren Kopf.
Sie hob das Rohr und setzte es an die Lippen. Ein beißender Geruch stieg aus dem Loch. Sie konzentrierte sich, setzte an, blies wie zu Hause in das Mundstück, wie in ihr Horn. Sie vernahm das dumpfe, leise Geräusch eines Pfeils, der in etwas einschlug. Sie hörte, wie Mahd nach Luft schnappte.
Der Pfeil hatte sich in den Baum gebohrt, nur ein paar Millimeter von seinem Schuh entfernt. Er saß so fest, dass Mahd ihn fast nicht wieder herausbekam.
Die Kleider waren während der Nacht nicht getrocknet. Der Gestank einsetzender Verrottung ging von ihnen aus, trotzdem mussten sie die Sachen wieder anziehen.
Sie hatten das Lager abgebaut und machten sich bereit, weiterzugehen. Justine steckte ihre Füße in die Socken, die Flecken waren jetzt steif und braun geworden.
Ben stand vor ihnen, er sah ein wenig bekümmert aus.
»Ihr denkt, dass ihr nass seid.
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