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Gute Nacht, mein Geliebter

Titel: Gute Nacht, mein Geliebter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inger Frimansson
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Schlangen in Acht!«
    Sie trat in den Matsch hinaus und wäre beinah ausgerutscht. Musste zurückkehren, um eine Taschenlampe bitten. Leuchtete in die glitschigen, dunklen Blätter. Übertrat die Phosphorlinie und entfernte sich ein Stück. Hockte sich in der Dunkelheit hin.
    Es raschelte, sie sah einen gefleckten Ast, der einer Schlange glich, ihr Herz pochte, der Schrei saß ihr im Hals. Sie biss sich fest auf die Unterlippe.
    »Halt jetzt das Maul!«, flüsterte sie. »Werd nicht hysterisch!«
    Unter ihr sah sie das Lager, den flackernden Schein vom Feuer und von ein paar Kerzen. Ben und die Männer hatten sich vor sie gelegt, unter einer eigenen Plastikplane. Einer von ihnen saß da und stocherte in der Glut, aus ihrer Perspektive sah er aus wie ein zusammengekauerter Schatten.
     
    Als sie zurückkam, waren die anderen schon in ihre Schlafsäcke gekrochen. Martina lag an Nathans rechter Seite, von ihm abgewandt. Neben ihr lag Ole und ganz außen Stein.
    »Alles klar?«, murmelte Nathan.
    Sie antwortete nicht. Sie streifte sich vor der Plane die Schuhe ab und öffnete den Schlafsack. Die Erde unter ihr war kalt und uneben. Sie sehnte sich nach einem Kissen.
    Nathan beugte sich zu ihr und drückte einen harten und lautlosen Kuss auf ihre Wange.
    »Du bist ja eiskalt«, flüsterte er.
    »Ja.«
    »Hast du Angst?«
    »Wovor sollte ich Angst haben?«
    »Vor der Nacht und vor dem Dschungel, und davor, dass wir direkt auf der Erde liegen, zwischen allen Schlangen, Tigern und Elefanten.«
    »Ich habe keine Angst.«
    »Gut. Dann gute Nacht.«
    »Gute Nacht.«
     
    Einer nach dem anderen schliefen sie ein, sie hörte, wie ihre Atemzüge gleichmäßiger wurden. Sie lag auf dem Rücken, anders konnte sie nicht liegen, ihr Knie tat weh. Die Geräusche aus dem Wald kamen von allen Seiten, gellend und schneidend. Sie meinte, ein Augenpaar zu sehen, aber als sie die Taschenlampe anmachte, war es verschwunden.
    Ein Tiger?, dachte sie. Komm doch. Komm her und reiß uns das Leben heraus mit deinen großen Kiefern, tu es. töte uns alle!
    Die Augen waren noch da. Regungslos betrachteten sie Justine.
    Sie drehte sich zu Nathan um. Er lag mit dem Gesicht ihr zugewandt, in der Haltung eines Fötus. Sie streckte ihre Hand aus und berührte ihn, formte die Lippen zu einem Flüstern:
    »Nathan?«
    Er schlief.
    »Gute Nacht«, flüsterte sie. »Gute Nacht, mein Geliebter.«
     
    Der Regen hörte in der Morgendämmerung auf. Stattdessen zogen Nebelschwaden heran. Als der Nebel sich hob, lösten sich die Stämme der Bäume aus ihm und bekamen Konturen. Eine neue Art von Geräuschen war jetzt zu hören, die Geräusche der Morgendämmerung. Die Affen erwachten und die kleinen, flinken Vögel.
    Hatte sie geschlafen? Hatte sie überhaupt geschlafen? Sie saß in ihrem Schlafsack, die anderen schliefen, die Köpfe vergraben. Sie massierte ihre schmerzenden Finger.
    Die Sonne brach durch die Wolken wie ein warmer und heller Vorhang.
     
    Justine nahm ein Handtuch und ihren Badeanzug und schlich zum Ufer hinab. Im Schutz einiger Sträucher zog sie sich um und stieg dann in das gelbe, warme Wasser. Sie hatte die Turnschuhe an.
    Alles Mögliche konnte es dort im Wasser geben, aber sie musste sauber werden, ihr fiel selber auf, dass sie nach abgestandenem Schweiß roch.
    Sie wusch sich mit Sand, schrubbte die Bisswunden der Blutegel. Sie fingen wieder an zu bluten.
    Sie blieb lange im Wasser, dachte, dass Nathan kommen würde, sie einander umarmen würden, dass er sie dort im Wasser in seine Arme nehmen und ihr versichern würde, dass alles wie immer war, dass sich nichts zwischen ihnen verändert hatte. Aber er kam nicht.
     
    Im Lager war Ben dabei, das Frühstück zu machen. Die Sonne wärmte, sie hängten ihre nasse Kleidung über Äste und Sträucher. Sie sah zwei bleiche Pilze. Sie waren es, die ihr in der Nacht entgegengeleuchtet hatten wie die Augen eines Raubtiers. Sie musste erzählen, welchen Streich sie ihr gespielt hatten, Nathan würde lachen und die Geschichte wirklich komisch finden.
    Aber Nathan war nicht da.
    Sie fragte Ben.
    »Ein paar sind losgegangen, um Wurzeln zu sammeln. Ich werde sie uns zum Frühstück kochen.«
    Einer der Orang Asli saß in der Hocke und rauchte. Es war der gleiche Mann, der zusammen mit ihr und Heinrich gegangen war. Sie rauchten immer, diese Männer, schon im Alter von wenigen Jahren lernten sie, wie man sich Zigaretten drehte. Es konnte dauern, bis die Jäger mit Beute zum Dorf zurückkehrten. Das Rauchen

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