Gute Nacht: Thriller (German Edition)
Gurneys Gesicht, als er das Handy einsteckte. »Was meinte er?«
»Er meint, vielleicht übermorgen.«
Gurney bestand darauf, getrennt von Kim nach Barkham Dell zu fahren. Falls sich etwas Unerwartetes ergab, wollte er die Möglichkeit zum schnellen Reagieren haben, ohne dass Kim ihre Interviews abbrechen musste.
Sie war schneller unterwegs als er, und bereits vor der Interstate hatte er sie aus den Augen verloren. Der Tag war wunderschön – der erste, der der Jahreszeit entsprach. Am strahlend blauen Himmel hingen verstreut kleine, flauschige Schäfchenwolken. An schattigen Stellen entlang des Highways blühten winzige Windröschen. Als er nach Auskunft des GPS die halbe Strecke hinter sich hatte, stoppte Gurney zum Tanken und holte sich in dem Laden einen Becher Kaffee.
Einige Minuten darauf kehrte er zurück, und während er noch mit seiner französischen Röstung bei offenem Fenster im Wagen saß, beschloss er, Jack Hardwick um zwei weitere Gefälligkeiten zu bitten – obwohl ihm klar war, dass er in nicht allzu ferner Zeit mit der Forderung nach substanziellen Gegenleistungen zu rechnen hatte. Aber er brauchte Auskünfte, und ein Anruf bei Hardwick war der einfachste Weg. Halb hoffte er auf die Mailbox, als er die Nummer wählte.
Doch er hatte kein Glück. Der Mann mit der sarkastischen Schmirgelpapierstimme meldete sich persönlich. »Davey, alter Knabe! Der Bluthund auf der Spur des abgrundtief Bösen! Was willst du jetzt schon wieder von mir, verfluchte Scheiße?«
»Um ehrlich zu sein, eine ganze Menge.«
»Was du nicht sagst!«
»Danach bin ich dir wirklich was schuldig.«
»Das bist du schon längst, Kumpel.«
»Stimmt.«
»Gut, dass dir das klar ist. Also raus damit.«
»Erstens möchte ich alles Wissenswerte über einen Studenten von der Syracuse University erfahren, einen gewissen Robert Meese oder Robert Montague. Zweitens alles Wissenswerte über Emilio Corazon, den Vater von Kim Corazon und früheren Mann der New Yorker Journalistin Connie Clarke. Emilio ist vor genau zehn Jahren von der Bildfläche verschwunden und hat nichts mehr von sich hören lassen. Alle Versuche der Familie, ihn ausfindig zu machen, haben zu nichts geführt.«
»Was genau meinst du mit ›wissenswert‹?«
»Alles, was sich in den nächsten zwei, drei Tagen ausgraben lässt.«
»Das ist alles?«
»Machst du es?«
»Hauptsache, du vergisst nicht, wie tief du bei mir in der Kreide stehst.«
»Natürlich nicht, Jack. Ich bin dir wirklich …« Gurney merkte, dass die Verbindung unterbrochen worden war.
Er fuhr wieder los und folgte den GPS -Anweisungen von der Interstate über mehrere zunehmend ländliche Nebenstrecken bis zur Abzweigung nach Foxledge Lane. Dort bemerkte er den parkenden roten Miata. Kim winkte und steuerte langsam vor ihm auf die Straße.
Es war nicht mehr weit. Die erste, von imposanten Bruchsteinmauern flankierte Adresse gehörte zum sogenannten Whittingham Hunt Club. Nach mehreren Hundert Metern gelangten sie zu einem Anwesen ohne Hausnummer und Namen.
Eric Stones Domizil lag am Ende einer vierhundert Meter langen Auffahrt. Ein riesiger Bau im New-England-Kolonialstil. Überall blätterte die Farbe von den Wänden. Die löchrigen, verstopften Dachrinnen mussten dringend repariert werden. Der Frost hatte Risse im Asphalt der Zufahrt hinterlassen. Der Rasen und die Blumenbeete waren übersät mit Rückständen des Winters.
Ein unebener Backsteinweg verband die Auffahrt mit drei breiten Stufen vor der Eingangstür, alles bedeckt mit verrottenden Blättern und Zweigen. Als Gurney und Kim den halben Weg zurückgelegt hatten, öffnete sich die Tür, und ein Mann trat auf die oberste Stufe. Bei seinem Anblick fühlte sich Gurney an ein Ei erinnert. Seine schmalschultrige, dickbäuchige Figur war vom Hals bis zu den Knien in eine makellos weiße Schürze gehüllt.
»Vorsicht, bitte. Das ist der reinste Dschungel da draußen.« Die theatralische Bemerkung begleitete er mit einem breiten Lächeln und einem besorgten Blick, der sich vor allem auf Gurney richtete. Sein kurzes, bereits ergrautes Haar war ordentlich gescheitelt, das kleine, rosige Gesicht frisch rasiert.
»Ingwerkekse«, verkündete er fröhlich, als er sie ins Haus winkte.
Gurney trat an ihm vorbei, und der unverkennbar scharf-süße Geruch des einzigen Gebäcks, das er überhaupt nicht ausstehen konnte, drang ihm in die Nase.
»Gehen Sie einfach nach hinten durch. Die Küche ist der gemütlichste Ort im ganzen Haus.«
Außer
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