Gute Nacht: Thriller (German Edition)
sich im Restaurant um. »Was haben Sie getrunken?«
»Eine Bloody Mary.«
»Perfekt.« Sie drehte sich nach hinten und winkte der jungen Kellnerin.
Als das Mädchen zwei Speisekarten brachte, machte Holdenfield ein skeptisches Gesicht. »Sind Sie überhaupt alt genug, um alkoholische Getränke zu servieren?«
»Ich bin dreiundzwanzig.« Sie klang verblüfft über die Frage und deprimiert über die Zahl.
»So alt schon?« Ironie stahl sich in Holdenfields Stimme. »Ich nehme eine Bloody Mary.« Mit einem Fragezeichen in den Augen deutete sie auf Gurneys Glas.
»Für mich nicht mehr.«
Die Kellnerin verschwand.
Wie üblich kam die Psychologin sofort zur Sache. »Wieso waren Sie denn so aggressiv zu unseren Freunden vom FBI ? Und was waren das für Anspielungen auf Nachtsichtbrillen, die Entsorgung von Waffen und Probleme mit dem Profil?«
»Ich wollte ihn nur ein bisschen aus der Fassung bringen.«
»Ein bisschen? Das war schon eher der Holzhammer, den Sie da ausgepackt haben.«
»Ich bin leicht frustriert.«
»Und woher kommt dieser Frust Ihrer Meinung nach?«
»Ich hab es allmählich satt, das ständig zu erklären.«
»Tun Sie mir den Gefallen.«
»Sie behandeln dieses Manifest alle wie die Heilige Schrift. Das ist es aber nicht. Es ist eine Posse. Taten sagen mehr als Worte. Die Taten dieses Mörders waren absolut rational und durchdacht. Die Planung war sorgfältig und pragmatisch. Das Manifest erweckt einen völlig anderen Eindruck. Es ist reine Fiktion. Die Darstellung einer Persönlichkeit mit Motiven, die Sie und Ihre Freunde von der Abteilung Verhaltensanalyse durchleuchten und zu diesem läppischen Profil verarbeiten konnten.«
»Hören Sie, David …«
»Einen Moment, ich bin noch nicht am Ende. Die Fiktion hat sich verselbstständigt. Jeder durfte sich ein Stück abschneiden. Endlose Artikel im Amerikanischen Fachblatt für theoretischen Quatsch. Und jetzt kann niemand mehr einen Rückzieher machen. Alle sind verzweifelt darum bemüht, das Kartenhaus zu stützen. Denn wenn es einstürzt, stürzen auch Karrieren ab.«
»Fertig?«
»Sie wollten, dass ich meinen Frust erkläre.«
Sie beugte sich vor und senkte die Stimme. »David, ich finde nicht, dass ich hier die Verzweifelte bin.« Sie machte eine Pause und richtete sich wieder gerade auf, als die Kellnerin die Bloody Mary brachte. Sobald die junge Frau sich entfernt hatte, fuhr sie fort. »Ich habe schon öfter mit Ihnen zusammengearbeitet. Sie waren immer der ruhigste, vernünftigste Mensch im Zimmer. Der Dave Gurney, an den ich mich erinnere, hätte nicht im Traum daran gedacht, einem FBI -Agenten zu drohen. Und nicht behauptet, dass meine professionellen Ansichten Quatsch sind. Er hätte mir nicht Unehrlichkeit und Dummheit vorgehalten. Ich frage mich, was wirklich in Ihrem Kopf vorgeht. Offen gestanden, macht mir der neue Dave Gurney Sorgen.«
»Tatsächlich? Sie glauben, die Kugel, die mein Gehirn gestreift hat, muss ein paar logische Schaltkreise unterbrochen haben?«
»Ich sage nur, dass Ihre Denkprozesse stärker als früher von Emotionen gelenkt werden. Sind Sie da anderer Meinung?«
»Ich bin der Meinung, dass es hier nicht um meine Denkprozesse geht, sondern darum, dass Sie und Ihre Kollegen Ihren Namen und Ruf auf eine unsinnige Theorie verwettet haben, die einem Massenmörder dazu verholfen hat, unerkannt zu bleiben.«
»Wirklich interessant, David. Wissen Sie, wer sich ähnlich drastisch ausdrückt, wenn von diesem Fall die Rede ist? Max Clinter.«
»Soll das jetzt eine vernichtende Kritik sein?«
Sie nippte von ihrem Drink. »Ist mir bloß so eingefallen. Freie Assoziation. So viele Ähnlichkeiten. Beide schwer verletzt, beide monatelang außer Gefecht, beide äußerst misstrauisch gegen andere, beide nicht mehr bei der Polizei, beide besessen von der Absicht zu beweisen, dass die anerkannte Einschätzung zum Fall des Guten Hirten falsch ist, beide geborene Jäger, die es hassen, im Abseits zu stehen.« Wieder ein Schluck. »Wurden Sie schon mal auf eine posttraumatische Belastungsstörung untersucht?«
Er starrte sie an. Eigentlich hätte ihn die Frage nicht mehr überraschen dürfen, nachdem sie ihn mit Clinter verglichen hatte. »Sind Sie deswegen hier? Um diagnostische Kästchen abzuhaken? Haben Sie mit Trout meine emotionale Stabilität erörtert?«
Sie erwiderte seinen Blick. »So viel Feindseligkeit ist mir von Ihnen noch nie entgegengeschlagen.«
»Ich möchte Ihnen eine Frage stellen. Warum wollten Sie
Weitere Kostenlose Bücher