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Gute Nacht: Thriller (German Edition)

Gute Nacht: Thriller (German Edition)

Titel: Gute Nacht: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Verdon
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hat?«
    »Vor zehn. Genau vor zehn Jahren. Seine Anschläge fanden alle im Frühjahr 2000 statt.«
    Nachdenklich nickend, lehnte sich Gurney zurück. Er erinnerte sich noch gut an die berüchtigte Mordserie, die damals dafür sorgte, dass der halbe Nordosten der USA Angst vor nächtlichen Fahrten hatte. »Interessant. Die Ausgangsereignisse sind also in allen sechs Fällen deckungsgleich: Zeitspanne von der Tat bis zur Gegenwart, Täter, Motiv, Ermittlungsaufwand.«
    »Genau! Nicht zu vergessen, dass der Mörder nicht gefasst werden konnte – in allen Fällen also kein Abschluss, die gleiche offene Wunde. Damit bietet der Fall des Guten Hirten einen perfekten Ansatz, um zu untersuchen, wie verschiedene Familien auf die gleiche Art von Katastrophe reagieren, wie sie mit dem Verlust leben, wie sie mit der Ungerechtigkeit umgehen, was es für Spuren hinterlässt – vor allem bei den Kindern. Unterschiedliche Folgen der gleichen Tragödie.«
    Sie erhob sich und trat zu dem Karteischrank beim Schreibtisch. Sie zog eine leuchtend blaue Mappe heraus und reichte sie Gurney. An einer Ecke klebte ein Etikett mit großem Aufdruck: KIM CORAZON , DIE MORDWAISEN , EXPOSÉ ZU EINEM DOKUMENTARFILM .
    Anscheinend bemerkte sie, dass sein Blick auf Corazon fiel, denn sie fragte: »Wunderst du dich über den Namen?«
    Er dachte zurück an die Zeit, als Connie ihn für den Artikel in der Zeitschrift New York interviewt hatte. »Ich glaube, Clarke ist der einzige Familienname, den ich bisher gehört habe.«
    »Clarke ist Connies Mädchenname, den sie nach der Scheidung von meinem Vater wieder angenommen hat. Ich war damals noch ganz klein. Sein Name war – ist – Corazon. Und meiner auch.« Unter der dünnen Oberfläche dieser sachlichen Feststellung lauerte offenbar Groll. Er fragte sich, ob dieser Groll der Grund dafür war, dass sie Connie nicht »Mom« oder »Mutter« nannte.
    Doch Gurney war nicht darauf erpicht, in dieser Richtung nachzubohren. Er schlug die Mappe auf und hatte einen Stapel von weit über fünfzig Seiten vor sich. Auf dem ersten Blatt wurde der Titel wiederholt. Die zweite Seite bot eine Inhaltsangabe: Konzept, Übersicht, Stil und Methodik, Kriterien für die Fallauswahl, Mordserie Guter Hirte – Opfer und Umstände, potenzielle Interviewpartner, bisheriger Stand der Kontakte, Abschriften der ersten Befragungen, GHAE (Anhang).
    Langsam ging er das Inhaltsverzeichnis noch einmal durch. »Hast du das so geschrieben? Mit dieser Struktur?«
    »Ja, gibt’s ein Problem?«
    »Nein, überhaupt nicht.«
    »Warum die Frage?«
    »Bei deinen Erklärungen vorhin war viel Leidenschaft zu erkennen. Hier bei der Struktur steht hingegen die Logik im Vordergrund.« Insgeheim dachte er, dass ihn ihre Leidenschaft an Madeleine und ihre Logik an ihn selbst erinnerte. »Ich hätte es wahrscheinlich so ähnlich geschrieben.«
    Sie warf ihm einen listigen Blick zu. »Das darf ich wohl als Kompliment auffassen.«
    Zum ersten Mal an diesem Tag oder vielleicht sogar in diesem Monat brach ein lautes Lachen aus ihm heraus. »Ich nehme an, GH steht für den Guten Hirten. Und was bedeutet AE ?«
    »Ach, das war seine Überschrift für das zwanzigseitige Dokument, das er den Medien und der Polizei geschickt hat: Absichtserklärung. «
    Gurney nickte. »Jetzt fällt es mir wieder ein. In den Medien war von einem ›Manifest‹ die Rede – genau wie sechs Jahre zuvor bei der Erklärung des Unabombers.«
    Jetzt nickte auch Kim. »Das bringt mich auf eine Frage, die ich dir zu Serienmorden allgemein stellen wollte. Denn irgendwie finde ich das verwirrend. Ich meine, der Unabomber und der Gute Hirte haben doch nicht viel gemeinsam mit Jeffrey Dahmer und Ted Bundy – oder mit diesen Monstern, die du selbst verhaftet hast, wie Peter Piggert oder dem sogenannten wahnsinnigen Weihnachtsmann, der Körperteile seiner Opfer an die örtliche Polizei verschickt hat. Mann! So was ist doch nicht mehr menschlich!« Ein sichtbarer Schauer durchfuhr sie. Energisch rieb sie sich die Oberarme, wie um sie zu wärmen.
    Irgendwo draußen am grauen Himmel über Syracuse hörte Gurney deutlich das Wummern eines Hubschraubers, das allmählich lauter und dann wieder leiser wurde, ehe es ganz verhallte. »Manche Soziologen würden sicher den Kopf schütteln über mich, aber ich finde, dass das Konzept Serienmörder wie viele andere Begriffe dieser Fachrichtung ziemlich unscharfe Ränder hat. Manchmal hab ich den Eindruck, dass diese ›Gesellschaftswissenschaftler‹

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