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Gute Nacht: Thriller (German Edition)

Gute Nacht: Thriller (German Edition)

Titel: Gute Nacht: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Verdon
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über den merkwürdigen jungen Mann darauf eingegangen.
    Jimis Motiv für die Ermordung seines Vaters, so Hardwick, hätte purer Hass auf ihn und den Materialismus sein können, der in der Wahl des Autos zum Ausdruck kam – das Motiv für die Ermordung der anderen, die bloße Tatsache, dass sie ein ähnliches Auto fuhren. Damit hätte es ein primäres und fünf sekundäre Opfer gegeben.
    Diese Theorie hatte zwar etwas Faszinierendes an sich, passte allerdings nicht zu Gurneys Erfahrungen mit pathologischen Mördern. In der Regel töteten sie das primäre Objekt ihres Hasses oder eine Reihe von Stellvertretern, aber nicht beide. Also war die Primär-/Sekundärstruktur nicht ganz …
    Oder doch?
    Angenommen …
    Angenommen, der Mörder hatte ein primäres Opfer. Eine Person, die er beseitigen wollte. Und weiter angenommen, er tötete die fünf anderen nicht, weil sie ihn an das primäre Opfer erinnerten – sondern weil sie die Polizei an das primäre Opfer erinnern sollten .
    Angenommen, er tötete die anderen fünf nur, um den Eindruck einer anderen Art von Verbrechen zu erwecken. Zumindest konnten diese anderen Opfer das Gesamtbild so vernebeln, dass die Polizei nicht klar erkennen konnte, wer von den sechs das primäre Opfer war. Und natürlich hatte der Gute Hirte seine Mordserie so inszeniert, dass die Polizei gar nicht erst zu dieser Frage vordrang.
    Wie hätten die Ermittler auch darauf kommen können, dass die sechs Ermordeten in Wahrheit die Summe aus eins und fünf waren? Warum hätten sie überhaupt Ansätze zu solchen Überlegungen entwickeln sollen? Vor allem da es von Anfang an eine scheinbar stichhaltige Theorie zu dem Fall gab, derzufolge alle sechs Opfer gleich wichtig waren. Außerdem lag das Manifest eines pathologischen Killers vor, das allen Morden den gleichen Rang zuwies. Ein Manifest, das alles erklärte. Ein Manifest, das so klug aufgebaut war und alle Einzelheiten der Verbrechen so gründlich widerspiegelte, dass selbst die erfahrensten und klügsten Experten darauf hereinfielen.
    Gurney hatte das Gefühl, dass sich der Nebel endlich lichtete. Zum ersten Mal bot der Fall ein Bild, das zumindest auf den ersten Blick schlüssig wirkte.
    Wie schon öfter in seiner langen Laufbahn als Detective war sein erster Gedanke, dass er darauf schon viel früher hätte kommen müssen. Schließlich bedurfte es nur eines kleinen Gedankensprungs von Madeleines Beschreibung der zentralen Szene aus Der Mann mit dem schwarzen Regenschirm , um zu dieser Betrachtungsweise der Morde zu gelangen. Trotzdem hatte es lange gedauert, bis er den gemeinsamen Nenner erkannte.
    Andererseits waren Ideen nicht unbedingt richtig, bloß weil sie sich richtig anfühlte. Aus Erfahrung wusste Gurney, wie gefährlich leicht man logische Fehler im eigenen Denken übersah. Wenn es um den eigenen Verstand ging, war Objektivität eine Illusion. Niemand war so unvoreingenommen, wie er glaubte. Daher die große Bedeutung eines Advocatus Diaboli.
    Gurneys erste Wahl für diese Rolle fiel auf Hardwick. Er zog sein Telefon heraus und wählte die Nummer. Als sich die Mailbox einschaltete, fasste er sich kurz. »Hallo Jack. Ich hab einen neuen Ansatz zu dem Fall und würde gern deine Meinung hören. Ruf zurück.«
    Als Nächstes fiel ihm Lieutenant Bullard ein. Eigentlich wusste er gar nicht, auf welcher Seite sie im Moment stand, doch sein Wunsch nach einem Gedankenaustausch überwog die Sorge um mögliche Interessenskonflikte. Zudem konnten seine Erkenntnisse, wenn sie zutrafen, die Machtverhältnisse wieder zu seinen Gunsten verschieben. Auch dieser Anruf ging auf die Mailbox, und er hinterließ eine ähnliche Nachricht wie für Hardwick.
    Da er nicht wusste, wann sich Hardwick oder Bullard melden würde, und da er seine neue Perspektive unbedingt jemandem darlegen wollte, beschloss er mit leicht gemischten Gefühlen, es bei Clinter zu probieren.
    Nach dem dritten Klingeln meldete sich der Mann persönlich. »Tag, Meister. Probleme in der Nacht der Nächte? Brauchen Sie Hilfe?«
    »Keine Probleme. Ich habe nur eine Idee – eine Theorie, die ich gern testen würde. Vielleicht hat sie Löcher, vielleicht taugt sie was.«
    »Bin ganz Ohr.«
    Plötzlich fiel Gurney auf, dass es zwischen Clinter und Hardwick eine Menge Ähnlichkeiten hinsichtlich der Persönlichkeitsstruktur gab. Clinter war Hardwick nach dem Sturz in den Abgrund. Seltsamerweise war ihm bei dem Gedanken zugleich wohl und unwohl.
    Gurney erklärte seine Theorie zweimal.
    Keine

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