Gute Nacht: Thriller (German Edition)
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Er führte Gurney um das abgezäunte Unkraut herum zu einem verwitterten Picknicktisch hinter der Hütte. Ein Stück davon entfernt parkte gleich am Rand des Moors ein echter, braunbeige bemalter Militär-Humvee.
»Fahren Sie das Ding?«, erkundigte sich Gurney.
»Zu besonderen Gelegenheiten.« Mit einem verschwörerischen Augenzwinkern setzte sich Clinter an den Tisch. Er nahm zwei Handtrainer von der Bank und fing an, sie zu drücken. »Machen Sie es sich bequem, Mr. Gurney, und erzählen Sie mir, warum Sie sich für den Guten Hirten interessieren.«
»Das hab ich Ihnen schon am Telefon erklärt. Ich wurde gebeten …«
»Dem sentimentalen Fräulein Herz über die Schulter zu schauen?«
»Fräulein Herz?«
» Corazón heißt Herz. Grundkurs Spanisch. Aber das ist Ihnen sicher bekannt. Perfekter Name für die Kleine, finden Sie nicht? Herzensangelegenheiten. Entgleiste Leidenschaften. Mitleid mit den Opfern von Verbrechen. Nur was hat das mit Maximilian Clinter zu tun?« Bei der letzten Frage verschwand die seltsame Sprechweise. Der Blick des Mannes wurde scharf und fest.
Gurney musste schnell entscheiden, wie er vorgehen sollte. Er setzte auf offene Unverfrorenheit. »Kim meint, Sie wissen Dinge über den Fall, die Sie ihr nicht erzählt haben. Sie wird nicht schlau aus Ihnen. Ich glaube, sie hat eine Scheißangst vor Ihnen.« Gurney hätte schwören können, dass Clinter erfreut war –, obwohl er bemüht schien, sich nichts anmerken zu lassen. Also weiter die Karten auf den Tisch. »Übrigens war ich beeindruckt von der Geschichte über Ihren Auftritt in Buffalo. Wenn nur die Hälfte davon stimmt, sind Sie ein talentierter Mann.«
Clinter grinste. »Big Honey.«
»Bitte?«
»Das war Frankie Bennos Spitzname bei der Mafia.«
»Weil er so ein süßer Junge war?«
Clinters Augen glitzerten. »Wegen seinem Hobby. Er war Imker.«
Die Vorstellung brachte Gurney zum Lachen. »Und was ist mit Ihnen, Max? Womit beschäftigen Sie sich so in Ihrer Freizeit? Hab gehört, dass Sie womöglich im Spezialwaffengeschäft sind.«
Clinter bedachte ihn mit einem gerissenen Blick, während seine Hände die Trainer rasch und fast mühelos zusammenpressten. »Ausrangierte Sammlerstücke.«
»Sie meinen Waffen, die nicht mehr funktionieren?«
»Die großen militärischen Geräte wurden alle mehr oder weniger entschärft. Ich hab allerdings kleinere Stücke, die noch funktionieren. Aber ich bin kein Händler. Händler brauchen eine Lizenz – also bin ich kein Händler. Vor dem Gesetz bin ich ein Sammler. Und manchmal verkaufe ich etwas aus meiner Privatkollektion an einen anderen Sammler. Verstehen Sie, was ich meine?«
»Ich denke schon. Was für Waffen verkaufen Sie denn?«
»Ungewöhnliche Waffen. Und ich muss in jedem Fall das Gefühl haben, dass sie genau zu dem Betreffenden passen. Daraus mache ich auch keinen Hehl. Wenn du nichts anderes willst als eine blöde Glock, dann geh zum Wal-Mart. Das ist meine Philosophie für Handfeuerwaffen, die ich klar zum Ausdruck bringe.« Wieder schimmerte der Akzent durch. »Wenn Sie jedoch ein mehr oder weniger entschärftes Vickers-Maschinengewehr aus dem Zweiten Weltkrieg mit dazu passendem Luftabwehrstativ möchten, könnten wir vielleicht ins Gespräch kommen, vorausgesetzt, Sie sind ebenfalls Hobbysammler wie ich.«
Gurney drehte sich träge auf der Bank herum, um über das braune Sumpfwasser blicken zu können. Er gähnte und streckte sich, dann lächelte er Clinter an. »Also, wissen Sie tatsächlich etwas über den Fall des Guten Hirten, wie Kim vermutet? Oder ist das alles bloß Augenwischerei und Quatsch?«
Der Mann starrte Gurney lange an, ehe er antwortete. »Ist es Quatsch, dass alle Autos schwarz waren? Dass
zwei der Opfer dieselbe Highschool in Brooklyn besucht haben? Dass sich durch die Morde des Guten Hirten die Einschaltquoten und Gewinne von RAM News verdreifacht habe –? Dass das FBI eine undurchdringliche Mauer des Schweigens um den Fall errichtet hat?«
Verblüfft hob Gurney die Hände. »Und worauf soll das hinauslaufen?«
»Auf etwas Böses, Mr. Gurney. Hinter diesem Fall steckt etwas durch und durch Böses.« Seine Hände drückten und lösten, drückten und lösten die Trainer so schnell, dass die Bewegungen fast wie Krämpfe wirkten. »Übrigens gibt es verkorkste Menschen auf der Welt, die einen Orgasmus kriegen, wenn sie sich Filme über Autounfälle ansehen. Wussten Sie das?«
»Ich glaube, in den Neunzigern wurde ein Film
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