Gute Nacht: Thriller (German Edition)
weniger.«
»Und wie oft hast du es heute gespürt?«
»Bin mir nicht sicher.«
»Hast du es überhaupt gespürt?«
»Keine Ahnung.«
Sie nickte und schnitt eine große Zucchini der Länge nach durch, dann legte sie die Hälften aufs Brett und machte sich daran, sie in mundgerechte Stücke zu hacken.
Blinzelnd sah er sie an und räusperte sich. »Du willst also darauf hinaus, dass ich mich von Kim für einen weiteren Tag engagieren lasse?«
»Hab ich das gesagt?«
»Ich glaube schon.«
Lange herrschte Schweigen. Madeleine zerkleinerte eine Aubergine, einen gelben Kürbis und eine rote Paprika, dann gab sie alles in eine große Schüssel, mit der sie zum Herd trat, um den Inhalt in den zischenden Wok zu schütten. »Sie ist eine interessante junge Frau.«
»Inwiefern?«
»Klug, attraktiv, ehrgeizig, subtil, energisch – findest du nicht?«
»Hm. Sie hat auf jeden Fall eine gewisse Tiefe.«
»Vielleicht solltest du sie mit Kyle bekannt machen.«
»Mit meinem Sohn?«
»Einen anderen Kyle kenne ich nicht.«
»Wie kommst du darauf, dass die beiden …?«
»Ich kann sie mir zusammen vorstellen, das ist alles. Verschiedene Persönlichkeiten, aber die gleiche Wellenlänge.«
Er versuchte angestrengt, sich die Chemie dieser hypothetischen Beziehung auszumalen. Doch nach weniger als einer Minute gab er auf. Zu viele Möglichkeiten, zu wenige Daten. Er beneidete Madeleine um die Leistungsfähigkeit ihrer Intuition. Damit konnte sie über Unbekanntes hinwegspringen, das ihn völlig aus der Bahn warf.
12
Die Welt von Max Clinter
»Sie haben Ihr Ziel erreicht.«
Gurneys GPS hatte ihn bis zu einer unmarkierten Kreuzung geführt. Dort ging ein schmaler Schotterweg von einer geteerten Straße ab, der er drei Kilometer weit gefolgt war, ohne ein einziges Haus zu sehen, das nicht völlig verwahrlost war.
Auf einer Seite des Schotterwegs ragte eine offene Stahlschranke empor. Auf der anderen stand eine tote Eiche, in deren Rinde sich die Narbe eines Blitzeinschlags gebrannt hatte. An den Stamm war ein menschliches Skelett genagelt – oder zumindest, wie Gurney vermutete, eine bemerkenswert überzeugende Reproduktion. Am Hals des Skeletts hing ein handgemaltes Schild: DER LETZTE EINDRINGLING .
Nach allem, was er bisher über Max Clinter wusste, und insbesondere nach dem Eindruck, den er bei dem Telefonat mit ihm an diesem Morgen gewonnen hatte, fand Dave das Schild nicht weiter erstaunlich.
Gurney bog auf einen Weg mit tiefen Furchen, der bald wie ein primitiver Damm einen großen Biberteich überquerte. Dahinter führte er weiter durch ein Dickicht aus Rotahorn bis zu einer Blockhütte, die auf einem erhöhten, trockenen Stück Land stand, das von Wasser und Schilf umgeben war.
Um die Hütte zog sich eine seltsame Umgrenzung: eine grabenartige, mit feinmaschigem Draht gesicherte Schneise voller Unkraut. Der Weg zur Hüttentür führte mitten durch das wuchernde Gestrüpp und war zu beiden Seiten mit einem Stück Zaun davon getrennt. Als Gurney noch über den Zweck des Ganzen spekulierte, öffnete sich die Hüttentür, und ein Mann trat heraus auf eine niedrige Steinstufe. Er trug militärische Tarnkleidung, zu der seine Schlangenlederstiefel einen drastischen Kontrast bildeten. Er machte einen harten Eindruck.
»Vipern«, bemerkte er mit knarzender Stimme.
»Pardon?«
»Im Unkraut. Das haben Sie sich doch gefragt, oder?« Er hatte einen merkwürdigen Akzent, sein Blick lag unverwandt auf Gurney. »Kleine Klapperschlangen. Die kleinen sind die gefährlichsten. Spricht sich rum. Hervorragend zur Abschreckung.«
»Kann mir nicht vorstellen, dass das wirkt, wenn die Schlangen bei kaltem Wetter überwintern«, erwiderte Gurney freundlich. »Sie sind Mr. Clinter, wie ich annehme?«
»Maximilian Clinter. Das Wetter spielt nur für materielle Schlangen eine Rolle. Es ist die Idee der Schlangen, die unerwünschte Besucher fernhält. Auf die Schlangen in den Köpfen hat das Wetter keine Auswirkung. Sie verstehen sicher, was ich meine, Mr. Gurney. Ich würde Sie hereinbitten, aber ich bitte nie jemanden herein. Ich ertrage es nicht. Posttraumatische Belastungsstörung. Wenn Sie reingehen, muss ich draußen bleiben. Zwei sind zu viel. Dann krieg ich keine Luft mehr.« Ein wildes Grinsen flackerte über sein Gesicht. Immer wieder schien er in eine altmodische Sprechweise zu verfallen wie Marlon Brando in Duell am Missouri . »Ich begrüße alle meine Gäste an der frischen Luft. Sie sind hoffentlich nicht beleidigt.
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