Guten Abend, Gute Nacht
einer akkuraten Darstellung dessen kommt, was geschehen ist.«
»Das stimmt«, sagte Marek, wobei sich seine Miene ein wenig verfinsterte.
»Aber wäre eine Videoaufnahme dann nicht die akkurateste Quelle gewesen?«
Marek erstarrte. »Wie ich bereits sagte, ich habe vergessen, das Gerät einzuschalten.«
»In Ordnung, Doktor. Was können Sie mir über Jennifer Creasy sagen?«
Er erstarrte noch ein wenig mehr. »Ich dachte, ich hätte deutlich gemacht, daß ich wegen eines möglichen Rechtsstreites...«
»Bitte«, sagte ich, unterbrach ihn vorsichtig. »Ich meine lediglich einfache, nicht vertrauliche Dinge.«
»Wie ich gerade sagen wollte: Ich fürchte, ich kann Ihnen in diesem Punkt überhaupt nicht weiterhelfen. Alles, was ich über Jennifer weiß, habe ich im Rahmen vertraulicher Mitteilungen erfahren, entweder in der Gruppe oder unter vier Augen zwischen ihr und mir oder William und mir.« Er blickte auf seine Uhr.
»Dann haben Sie sie also unter vier Augen gesprochen? Außerhalb der Gruppe, meine ich?«
»Tut mir leid, Mr. Cuddy, aber Sie müssen mich jetzt entschuldigen. Ich muß mich auf meinen nächsten Termin vorbereiten.«
Er führte mich durch die Verbindungstür in den Warteraum. »Keine weiteren Termine für Mr. Cuddy«, sagte er zu Mrs. Porter.
Ich bedankte mich bei beiden und ging, kam auf der Schwelle an einer teuer gekleideten, etwa vierzigjährigen Frau vorbei, die sich verstohlen, aber nichtsdestoweniger intensiv kratzte.
ACHT
Ich saß im Wagen und ging die Liste der Namen und Adressen durch, die ich in Rothenbergs Büro abgeschrieben hatte. Einer der Patienten wohnte an einer Kreuzung, an der ich auf meiner Fahrt zu Mareks Haus vorbeigekommen war. Der Patient namens Homer Linden.
Lindens Wohnung stellte sich als kleineres Häuschen an einer der schlechteren Straßen von Calem heraus, einer Stadt, die anscheinend nur sehr wenige schlechtere Straßen hat. Der Rasen war gepflegt, die Hecken und Büsche gestutzt, aber alles recht spärlich. Ich klingelte. Keine Reaktion.
Ich klingelte noch einmal. Immer noch nichts. Noch ziemlich früh, daß jemand von der Arbeit schon wieder zu Hause war, und in der Auffahrt stand kein Auto.
Ich griff gerade wieder nach meiner Liste, als die Tür geöffnet wurde. Ein Mann mit rasiertem Kopf und verhärmtem Gesicht starrte mich an. Er sah aus wie sechzig und trug ein graues Sweatshirt und Shorts, keine Socken, keine Schuhe. Seine Beine waren sehnig, aber mager, und das Sweatshirt schlabberte ihm am Oberkörper. Ich fühlte mich an die Leute erinnert, die ich auf der Krebsstation gesehen hatte, wenn ich Beth besuchen ging.
»Ja?« sagte er.
»Homer Linden?«
»Ja.«
»Mein Name ist John Cuddy. Ich untersuche den Tod von Jennifer Creasy. Haben Sie vielleicht ein paar Minuten Zeit für mich?«
»Sicher«, sagte er, »solange Ihnen der Gestank nichts ausmacht.«
Er führte mich durch ein kleines Wohnzimmer und eine Küche zu einer offenen Kellertür. Die Treppe hinunter wirkte der Keller wie eine Mischung aus Arbeitszimmer, Turnhalle und Sauna-Bar, roch aber wie ein Fitneß-Center. Das Trainingsgerät sah selbstgebastelt aus und war auf platzsparende Weise in der Mitte des Raumes aufgebaut. Deckenhohe Bücherregale standen an zwei Wänden. Auf den meisten standen Bücher, auf manchen aber auch Trophäen, Plaketten und gerahmte Fotos. Ein spezieller Empfänger für den Polizeifunk knackte und kreischte einmal, bevor Linden ihn ausschaltete. Er deutete auf einen Barhocker. »Möchten Sie was trinken?«
»Haben Sie ein Bier?«
»Aber sicher doch«, sagte er. »Ich bin Läufer, kein Abstinenzler.«
Er machte sich an einem kleinen Kühlschrank zu schaffen. Ich konzentrierte mich auf die Trophäen. Die meisten zeigten einen laufenden, messingfarbenen Miniatur-Mann.
»Sieht aus, als liefen Sie schon eine ganze Weile.«
»Hah?«, sagte er, drehte den Verschluß von einer geeisten Flasche Miller’s. »Fast fünfzig Jahre. Bin als Dritter hinter John Kelly ins Ziel gekommen, als er zum zweitenmal beim Boston Marathon mitgemacht hat.«
Linden reichte mir die Flasche. Ich nahm sie, wartete aber noch.
»Na los, trinken Sie schon«, sagte er, zog sein Sweatshirt aus. »Ich habe meine Übungen erst zur Hälfte hinter mir. Trinken Sie und stellen Sie Ihre Fragen.«
Ich bedankte mich und nahm einen Schluck. Er ließ sich so vorsichtig auf eine Rudermaschine nieder, als wäre sie ein Boot am Rande eines Docks. Er setzte die unechten Ruder in
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