Guten Abend, Gute Nacht
Ich...«
»He, netter Laden. Karen hat was davon gesagt, daß Sie laufen?«
»Nur, um in Form zu bleiben. Hören Sie...«
»Haben Sie Ihren Sportkram dabei?«
»Nein. Ich bin nur heute und morgen hier.«
»Oh, nein! Da bleibt mir aber nicht viel Zeit.«
»Zeit?«
»Ja. Um Ihnen die Stadt zu zeigen. Chicago, meine Wahlheimat.«
»Hören Sie...«
»Ich stamme eigentlich aus Toledo. Was haben Sie heute nachmittag vor?«
»Ich bin gerade erst angekommen, und da dachte ich...«
»Also, passen Sie auf. Ich muß heute nachmittag in der Uni was klären, aber so gegen fünf bin ich frei — nein, gegen halb fünf. In der Zwischenzeit könnten Sie... Mögen Sie Museen?«
Gegen meinen Willen mußte ich daran denken, wie Beth und ich durch das Boston Museum of Fine Arts geschlendert waren, und plötzlich wurde mir bewußt, daß ich seit ihrem Tod nicht mehr dort gewesen war. »Ja.«
»Toll. Im Art Institute of Chicago läuft gerade eine sagenhafte Ausstellung mit dem Namen Der Schatz von San Marco. Von Ihrem derzeitigen Aufenthaltsort ist das einfach die Straße runter — die Michigan Avenue. Sagen Sie einfach einem Taxifahrer, er soll Sie hinbringen. Es ist an der Ecke der Adams, jede Strecke vielleicht drei Bucks. Es wird Ihnen gefallen. Um halb fünf hole ich Sie dann im Hotel ab. Ziehen Sie sich was an, bei dem es Ihnen nichts ausmacht, wenn’s ein bißchen schmutzig wird.«
»Was?«
»Sie können meinen Wagen gar nicht übersehen. Es ist ein Golf, der wie ein quadratischer Kürbis aussieht. Wir sehen uns dann. Muß jetzt los. Ciao.«
Ich saß auf dem Bett, starrte den Hörer an und leerte mein Glas.
Das Art Institute sah von außen auch so aus. Ein wuchtiges Gebäude, anscheinend aus Granit, mit einer breiten Eingangstreppe, flankiert von zwei beeindruckenden, aber grün angelaufenen Bronze-Löwen. Eine lange, höflich wartende Menschenschlange stand nach Eintrittskarten für die San Marco-Ausstellung an. Ich zahlte meine $4.50 und wurde freundlich mit den anderen in einen prachtvoll dekorierten Ausstellungsraum geführt.
Die Ausstellung bestand aus etwa fünfzig Vitrinen, die einzeln aufgestellt und ausreichend elektronisch gesichert waren, um eine Wiederholung von Topkapi zu vereiteln. An allen vier Seiten jeder Vitrine waren identische Tafeln angebracht, auf denen mit kurzen Sätzen der Inhalt des Exponates erklärt wurde. Die meisten Stücke waren Kommunionskelche und andere religiöse Artefakte in Gold, Emaille und Edelsteinen. Während ich mich durch das Labyrinth aus herabhängenden Stoffbahnen und indirekter Beleuchtung vorarbeitete, fielen mir eine ganze Reihe verschiedener Dinge auf. Am erstaunlichsten war die hohe Qualität der Handwerkskunst, einschließlich einer Reihe Kristallgefäße aus dem zehnten und elften Jahrhundert. Am bedauerlichsten war die unausweichliche Schlußfolgerung, daß der Schatz von San Marco eigentlich die Beute der Plünderung Konstantinopels war, von etwas übereifrigen Kreuzfahrern einem wortgewaltigen Papst mitgebracht.
Den restlichen Nachmittag verbrachte ich im Museum mit einem Gang durch die Ostasien-, Architektur- und Photogalerien. Ich hatte völlig vergessen, wie angenehm und unterhaltsam so etwas sein konnte, und zähneknirschend gab ich zu, daß ich meinem seltsamen Ersatz-Gastgeber für diesen Vorschlag dankbar sein mußte.
Er sah wirklich aus wie ein quadratischer Kürbis.
»He, wie geht’s Ihnen?«
Ich schüttelte ihm die Hand und stieg ein. »Mir geht’s blendend, und im Museum war’s super.«
Jim nickte eifrig und riß den Gang rein. »Ja, Karen und ich waren letzte Woche da und waren einfach begeistert. Sollten die Kreuzfahrer je in diese Stadt kommen, würde keine einzige Scheibe Brot mehr übrig bleiben. Wissen Sie viel über Chicago?«
»Nein, eigentlich nicht.«
Das genügte ihm.
Wir hakten alles ab: Stadtteile, öffentliche Verkehrsmittel, Kommunalpolitik, Universitäten, Restaurants...
»Und das hier«, sagte er, als er wendete, um einen freien Parkplatz auf der anderen Straßenseite zu ergattern, »ist so was wie ein Denkmal für abgestorbene Gehirnzellen überall auf dieser Welt.« Er deutete auf das Schild über der Tür einer Kneipe: THE ULTIMATE SPORTS BAR AND GRILL.
In voller Größe war Jim etwa zwei, drei Zentimeter größer als ich. Er hatte kurze, schwarze Haare, einen Bart und Brauen, die seine Augen verhüllten, so daß man nicht sofort mit Sicherheit sagen konnte, wohin er gerade schaute. An den Füßen hatte er
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