Guten Morgen, Tel Aviv
ganze Familie, denn da kommen hier schnell mal 500 Leute zusammen. Aber in unserem Fall waren es die Schwiegereltern, Geschwister sowie Tanten, die extra aus Haifa angereist waren. Wir sollten schließlich nicht über den Tisch gezogen werden.
Im ungefähr zehn Quadratmeter kleinen Elektroladen fing jedes Familienmitglied sogleich an, wild mit einem der zehn glatzköpfigen Verkäufer zu handeln und zu diskutieren. Dabei lehnte mein kräftiger Schwiegervater sich bedrohlich über die Waschmaschinen und brummte dem haarlosen Verkäufer gefährlich ins Gewissen. Der ältere, immer etwas negative Bruder meines Freundes dagegen schrie auf einen anderen Glatzkopf ein. Der wiederum brüllte übellaunig zurück. Ich glaube, das nennt man hier Verhandlungstaktik. Mein wunderbarer Freund selbst tänzelte wie ein Boxer im Ring zwischen AEG und Siemens hin und her und versuchte sich ernsthaft (der deutsche Einfluss) beraten zu lassen. Meine Schwiegermutter war bereits mit verschiedenen Küchengeräten bepackt. Ich hatte Angst, wir würden am Ende versehentlich vier Waschmaschinen und drei Kühlschränke mit nach Hause nehmen. Und war mehr als überrascht, als schließlich eine Waschmaschine und ein Kühlschrank unsere Wohnung erreichten, die im Übrigen immer noch funktionieren.
Das ist keine Selbstverständlichkeit. Ein anderer Familienratschlag nämlich brachte uns dazu, ein Sofa nicht bei IKEA , sondern bei »Turkis« zu kaufen. Die Gerichtsverhandlung läuft. Das IKEA -Sofa hat es dann doch in unsere vier Wände geschafft.
Aber Familienratschläge beziehen sich in dieser religiösen Sondergemeinschaft nicht nur auf Waschmaschinen und Einrichtungsgegenstände. Bestimmt hat jeder schon einmal von der berühmten »jiddischen Mamme« gehört. Für eine solche ist die Verheiratung aller Kinder oberste Priorität. So hörte ich bereits auf verschiedenen Hochzeiten verschiedene Rabbis davon reden, dass die Brautmütter nun ihr Lebensziel erreicht hätten. Und meine Freundin S. erzählte mir neulich, dass ständig fremde Männer auf ihrem Handy anriefen – allesamt Verkupplungsversuche ihrer Mutter, die der Meinung ist, mit 28 könne ihre Tochter nun endlich in den Hafen der Ehe einlaufen.
Auch ich kenne dieses Problem: Auf elegante Weise versucht die Mutter meines wunderbaren Lebensgefährten immer wieder, mich auf eine Hochzeit festzunageln. Als meine Eltern im Frühjahr das erste Mal zu Besuch kamen, hoffte sie wohl bereits auf die Bekanntgabe einer Verlobung. Da nichts passierte und sich meine Eltern für Oktober nochmals angekündigt haben, liebäugelt sie nun mit einer Winter-Vermählung. Mein Schwiegervater in spe dagegen hat sich auf Enkel-Druck spezialisiert. Wann immer sich die Gelegenheit bietet, erinnert er mich daran, dass er nun endlich auch mal einen Enkel im Arm halten möchte. Die vier, die er schon hat, scheinen – aus mir unverständlichen Gründen – nicht als vollwertige Enkel zu zählen.
Ja, es ist nicht immer einfach, mit der israelischen Familie übereinzukommen. Sie meinen es immer so gut. Und sie glucken so gerne zusammen. Dabei erhalten sie sich natürlich trotzdem die gewohnte Prise israelischer Rücksichtslosigkeit. Vor einigen Tagen machten wir mit Mutter, Onkel, Tante und Oma einen Ausflug in ein drusisches Dorf im Norden Israels. Alle saßen zur Abfahrt bereit im Geländewagen. Bis auf die Oma. Die korpulente 83-Jährige versuchte sich mühsam in den hohen Jeep zu quälen. Drinnen saß die israelische Familie und lachte sich tot, weil die Oma einfach nicht reinkam. Nach ewigem Ziehen und Zerren hatte sie sich endlich in den Anschnallgurt gewürgt.
Auch so sind israelische Familien. Nicht so politisch korrekt wie deutsche. Aber es gibt immer was zu lachen.
Handyolismus
Viele Israelis sind abhängig. Und damit meine ich nicht den hier weitverbreiteten Haschischkkonsum oder die ebenso geläufige jiddische Mamme. Nein, ich spreche vom ernsten Thema Handy-Sucht. Dem unabdingbaren Bedürfnis, ständig erreichbar zu sein und ständig zu erreichen. Ich spreche von den Handyolikern.
Den Handyoliker findet man in Israel in allen gesellschaftlichen Schichten, vor allem unter den jüngeren Bewohnern. Typische Symptome sind der Zwang zum Sprechen in kleine, hell leuchtende Geräte, fortschreitender Kontrollverlust bezüglich Dauer und Anlass des Telefonkonsums, Vernachlässigung früherer Interessen oder anwesender Personen zugunsten des Telefonierens, Leugnen des Suchtverhaltens (»ich muss das aber
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