Guten Morgen, Tel Aviv
großes Vorgeplänkel von Eheproblemen oder Identitätskrisen. Wildfremde Verkäufer legen mir ihre Arme um die Schultern. Und manchmal, wenn ich einfach nur mal so auf der Straße gucken will, bildet sich um mich herum eine Menschentraube, die sofort wissen will, was es da zu sehen gibt.
Privatsphäre ist hier einfach nicht angesagt. Indiskrete Fragen gibt es nicht. Israelis sind sich sehr schnell sehr nah. Und finden das super. Auch im Ausland weiß man das. Ob Indien oder Chile: Jeder kennt die Israelis. Sie treten am liebsten in großen Gruppen auf und hängen wie die Hühner aufeinander. Wir Psychologen sprechen da gerne vom crowding . Falls Sie sich jetzt fragen, was das genau ist, kann ich Sie nur herzlich einladen, den Tel Aviver Markt einmal zu besuchen. Sie werden sich, festgezurrt wie ein Weihnachtspaket, mit üblen Trittwunden versehen und geistig verwirrt, in einer Menschentraube wiederfinden. Wie Sie dahin gekommen sind, werden Sie nicht wissen. Aber ich kann Ihnen versichern, ganz nah hinter Ihnen wird jemand stehen, den Sie fragen können. Und der wird Sie dann umarmen, und Sie werden glücklich sein. Ganz undeutsch.
Die Sprache
Neulich verlangte ich in der Post einen Pimmel. Ein paar Tage später schwadronierte ich über die Ruhe und Leichtigkeit im Urinal. Gestern dann bedankte ich mich für das interessante Kleid nach einem langen Gespräch. Und ich erinnere mich noch gut, wie mein wunderbarer Lebensfreund meinen Vater nach seinem Oberlippenbart befragen wollte und stattdessen über seine »Schnauze« sprach.
Offensichtlich scheinen sämtliche Sprachen der Welt so konstruiert zu sein, dass arme Sprachneulinge sich wenigstens ab und zu komplett zum Deppen machen. Sowieso bleiben Sprachen mir persönlich immer unheimlich. Sie sind wie Verwandlungskünstler, die man nie so recht zu durchschauen weiß. Selbst die eigene Muttersprache scheint, je nach sprachlicher Kompetenz mehr oder weniger, ein ewiges Rätsel zu bleiben. Wiederholen Sie doch zum Beispiel das Wort Beispiel mehrmals. Irgendwann scheint es absurd. Erst klingt es wie Ballspiel, und zum Schluss können Sie sich partout nicht mehr vorstellen, dass dieses Wort in irgendeinem Zusammenhang Sinn macht.
Eine vollkommen neue Sprache zu erlernen treibt diese universale Sprachrätselhaftigkeit auf die Spitze. Da kann man noch so lange studiert haben oder noch so viel Lebenserfahrung mitbringen: Beim Sprachenlernen sind wir plötzlich alle wieder Hosenmatze. Erfinden mit Inbrunst Fantasiewörter, brabbeln unverständliche Wortsilben und werden ständig von Erwachsenen verbessert. Oder verlangen eben statt einer Briefmarke einen Penis. Ein unwürdiger Zustand. Und israelische Sprachlehrerinnen sind da keine große Hilfe.
Israelische Frauen neigen generell zu einer dominanten Art. Meine Schwiegermama in spe zum Beispiel macht regelmäßig Stadtbeamte oder Kommunalpolitiker rund. Wohl zu Recht, aber ich frage mich doch, woher das kommt. Sie stammt ursprünglich aus einer irakischen Familie, denen man ein eher traditionelles Frauenbild nachsagt. Vielleicht liegt es an der zweijährigen Wehrpflicht, die hier auch für Frauen gilt. Immerhin hängt in der Familienküche ein Foto meiner uniformierten Schwiegermutter. In der Hand hält sie ein Maschinengewehr.
Aber israelische Sprachlehrerinnen gehen darüber weit hinaus. Sie sind eine Art Mutation aus der genetischen Verschmelzung von Lara Croft und Rambo. Es muss sich bei der von ihnen ausgehenden Dominanz und Stärke um eine unabdingbare Voraussetzung für den Beruf »Hebräischlehrerin« handeln. Denn alle, die ich bisher kennengelernt habe, scheinen den gleichen genetischen Pool zu teilen. Wahrscheinlich treten diese Sprachamazonen zum Vorstellungsgespräch die Tür ein und legen dann erst einmal die Einrichtung in Schutt und Asche.
Die Erstaunlichste von allen ist aber meine Lehrerin Y. Sie schreit uns fast 90 Minuten lang mal positiv erregt, mal negativ erschlafft an, und wenn wir Fehler machen, lacht sie uns auch gerne mal aus. Die arme Chinesin in der ersten Reihe entwickelt langsam einen Buckel vom ganzen Ducken. Gerade bei den beiden treffen Welten aufeinander. Denn der Dominanzanforderung ist es wohl auch geschuldet, dass israelische Sprachlehrerinnen obendrein nicht besonders sensibel sind.
Aber mit Sensibilität kommt man in diesem Land eh nicht weiter, weswegen die Sprach-Dominas durchaus Sinn machen. Eine Sprache zu pauken bedeutet ja ultimativ auch, eine Kultur zu erleben und zu
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