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Guten Morgen, Tel Aviv

Guten Morgen, Tel Aviv

Titel: Guten Morgen, Tel Aviv Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katharina Hoeftmann
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dann der rebellische Freizeitlook). Ich muss sagen, ich finde das alles ein bisschen verwirrend. Für mich ist Mode ein Statement. Je nachdem, wie ich mich fühle oder was ich vorhabe, kleide ich mich. Gehe ich zum Rockkonzert, werde ich sicherlich kein Blüschen anhaben. Will ich dagegen zu einem wichtigen Termin und ernst genommen werden, kleide ich mich seriöser.
    In der hebräischen Sprache dagegen gibt es keine Differenzierung zwischen seriös und ernst. Vielleicht gibt es auch deswegen im hebräischen Leben keine uniformierte Arbeitskleidung oder einen übergreifenden Konsens, was eine seriöse Garderobe ist. Die Konservativen hier sind, anders als in Europa, nicht anhand ihrer Kleidung zu erkennen. Sie schmückt kein Perlenschmuck, und in ihren Armbeugen baumeln keine Le-Pliage-Taschen von Longchamp.
    Neulich traf ich dann übrigens wirklich mal einen Gärtner. Er trug ein Hemd mit Feuer speienden Drachen.

Das Wetter
    Ich rede nur noch ungern übers Wetter. Es gibt nichts mehr zu sagen. Seit mehr als vier Monaten schwitze ich im Nahen Osten. Jeden Gang nach draußen wäge ich ab. Schattige Straßen habe ich mir im Stadtplan markiert. Große, nicht überdachte Plätze meide ich. Ich dusche dreimal am Tag oder immer, wenn ich außer Haus war. Der Wohnungsputz erinnert an Bikram-Yoga. Und ich mag Sport nicht. Obendrein liegt die Luftfeuchtigkeit um die 80 Prozent, weswegen meine Haare sich ständig unangenehm und unaufhaltsam am Kopf entlangkräuseln. Ich löse mich langsam auf. Ich kann nicht mehr. Ich will, dass diese Hitze endlich aufhört.
    In Deutschland war der Sommer natürlich kurz und regnerisch. Abgesehen von einer kleinen Hitzewelle war es im September schon Herbst. In Israel sagen alle, dass dies der härteste Sommer seit zehn Jahren sei. Hier gibt es keine Jahreszeiten. Es gibt nur Sommer und weniger Sommer. Ich würde gerne mit deutschen Freunden darüber sprechen (Israelis sind ja an die Hitze gewöhnt), aber sie hören mir nicht zu. Sobald ich von meinem Dampfbadleben erzähle, sagen sie: »Ach ja, du Arme. Ist schon furchtbar, wenn man jeden Tag an den Strand muss.« Dabei kann ich nicht einmal mehr an den Strand! Ich bin schon jetzt so braun wie Dieter Bohlen und Thomas Anders zusammen.
    Das Wetter hier ist wie alles extrem. Extrem heiß, staubig, luftfeucht. Und wehe es regnet!
    Anfang Oktober prasselte der erste Platzregen des jüdischen Jahres (das beginnt mit dem Feiertag Rosh Hashana im September) auf Tel Aviv herunter. Es war erlösend. Ich saß mit meiner Freundin S. am Fenster und roch den Regen. Doch dann stand die ganze Stadt innerhalb weniger Minuten unter Wasser. Sturzbäche fluteten die Straßen und rissen mit sich, was nicht befestigt war. Man konnte sich kaum noch fortbewegen, denn alles von Gehweg bis Fahrbahn war sofort spiegelglatt.
    Israelis können mit Regen nicht gut umgehen. Die eine Hälfte erstarrt und blickt ungläubig in den Himmel, die andere verursacht einen Unfall. So auch mein wunderbarer Lebensgefährte. Er kam gerade mit dem Motorroller aus dem Supermarkt, als er Milch, Wasserflaschen und Toastbrot gleichmäßig über den Asphalt verteilte. Hinter ihm krachten zwei Linienbusse zusammen. Chaos und Panik brachen aus. Danach sprach er wochenlang mit stolzgeschwellter Brust über seinen Crash. Immerhin hatte er etwas zum Wetter zu berichten, für das man sich auch in Deutschland interessierte.
    Wenige Tage nach dem katastrophalen Niederschlag kamen meine Eltern zu Besuch. Ich hatte ihnen gesagt, dass es langsam kühler würde im heißen Land, der Regen hatte frische Luft gebracht. Wie sehr ich falschlag, wurde am Tag ihrer Ankunft deutlich. 37 schwüle Grad und strahlend blauer Himmel straften mich Lügen. Es war die Hölle. Meine Mutter schaute mich vorwurfsvoll an, während sie dicke Blazer und lange Hosen in den Tiefen unseres Kleiderschranks verstaute. Mein Vater musste seine zwei kurzen Hosen sieben Tage lang abwechseln tragen. Meistens saß er sowieso irgendwo halb nackt in der Wohnung und keuchte. Und selbst Jerusalem, von dem ich versprach, dass es immer kühler sei, war tropisch wie nie, als wir es besuchten.
    Ich kann beim Thema Wetter einfach nichts mehr richtig machen. Selbst zum Small Talk ist es mittlerweile ungeeignet. Als ich neulich auf einer deutschen Tagung in Israel wichtigen Leuten vorgestellt wurde, sagte ich deshalb nur: Mein Name ist Katharina Höftmann und ich befinde mich auf dem Weg zum Büfett. In den Augenwinkeln sah ich Cem Özdemirs

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