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Guten Morgen, Tel Aviv

Guten Morgen, Tel Aviv

Titel: Guten Morgen, Tel Aviv Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katharina Hoeftmann
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essen gibt, dann werden tonnenweise Reis, Fleisch, Gemüse, Antipasti und Kartoffeln aufgeladen. Eine Art Tischpolizei passt dann auf, dass man auch ja genug davon isst. Als meine Freundin B. neulich aus Deutschland zu Besuch war, machte sie den Fehler, zu schnell aufzuessen. Ich als erprobter Essensgast weiß natürlich, dass das genau falsch ist. Auf dem Teller muss immer etwas Essen übrig sein, damit man sagen kann: »Danke, ich hab ja noch.«
    Ich schätze mein Essverhalten als relativ normal ein. Aber wahrscheinlich stimmt das schon lange nicht mehr. Als ich im Sommer meine Eltern in Deutschland besuchte, bereitete es mir etwas Sorgen, als meine Mutter mir eröffnete, dass es wegen der Wärme nur einmal täglich warmes Essen gäbe. Ein dumpfes Hungergefühl begleitete mich über den gesamten Aufenthalt. Mittlerweile wache ich auch nachts manchmal auf und vergewissere mich, dass der Kühlschrank noch voll ist. Wir haben nur einen. Aber ich fange an, darüber nachzudenken, ob im Wohnzimmer nicht noch Platz wäre. Für eine weitere, ganz kleine Kühlbox. Nur fürs Fleisch, versteht sich.

Kriegsveteranenland
    Neulich tanzte ich mit einem Kriegsveteranen. Er war 28 und hatte dunkle Rastas. Sein linkes Auge war im letzten Libanon-Krieg 2006 von einer Hisbollah-Rakete aus dem Gesicht gefetzt worden. Jetzt stand er auf der Tanzfläche neben mir und schüttelte sich zu »Nirvana«. Dabei sah er aus wie jeder andere auf dem Parkett, und das überraschte mich nicht.
    Israelis leben mit Gefahr, Krieg und Terrorismus wie Deutsche mit Lothar Matthäus oder Boris Becker. Jederzeit kann irgendwas irgendwo losgehen. Und damit man das auch nie vergisst, ist die israelische Armee allgegenwärtig. Ständig sitzt man neben Soldaten. Oft schlafen sie, und ihre umgehängten Maschinengewehre zielen dann auf Gesichter oder Herzen anderer Leute. Manchmal bitte ich sie, die Waffe ein paar Zentimeter nach rechts oben oder links unten zu rücken, damit es wenigstens nur die Kniescheibe erwischt. Aber wegpacken können sie die Uzi nicht.
    Sowieso kann man hier vieles nicht. Kurztrips in die Nachbarländer sind mehr oder weniger unmöglich. Das Land hört immer nach wenigen Autostunden auf, und dann geht es nicht weiter. Schnell mal ins Einkaufscenter sausen funktioniert auch nicht, da man davor erst einmal 20 Minuten in der Sicherheitskontrolle steht. Von Juni bis September kann man dann gar nichts mehr, da kontinuierlich 100 Grad und Sonne sind und man vor lauter Hitze nur gelähmt auf kalten Fliesen liegt. Sehen kann man manchmal ebenfalls tagelang nichts, weil wirbelnder Wüstensand die Städte verschleiert.
    Jugendliche verschenken ihre besten Jahre ans Militär (drei Jahre Wehrpflicht für Männer, zwei für Frauen), und wenn sie älter werden, sind sie dank des Reservedienstes auch nicht sicher. Außerdem ist Wasser knapp. Andere Güter scheinbar auch. Eine kleine Packung Salami kostet im Supermarkt vier Euro. Unsanierte Zweizimmerwohnungen gibt es in Tel Aviv für den Preis eines Berliner Penthouse. Und dann sind auch noch geschlechtsneutrale Vornamen in. Man weiß also nie, ob Tal, Or, Roni oder Schachar Jungs oder Mädchen sind. Das Leben hier ist anstrengend. Und kompliziert. Nichts in Israel ist einfach.
    Ich irrte einmal 20 Minuten am Busbahnhof in Tel Aviv herum, weil ich den Fünfer nicht fand. Die wichtigste Buslinie Tel Avivs, die den Busbahnhof Nord und Süd verbindet, war wie vom Erdboden verschluckt. Auch die Leute, die ich fragte, konnten mir nicht helfen. Es war, als hätte es den Fünfer nie gegeben. Und da es keine Hinweisschilder gab, war meine Situation ausweglos. Als ich schließlich erschöpft eine abgelegene Haltestelle fand, an der eine große, deutliche, runde Fünf baumelte, kam der ersehnte Bus und fuhr an mir vorbei.
    Israel ist Chaos. Deutschland ist kompliziert, weil es zu viel Ordnung gibt, Israel ist es, weil praktisch Anarchie herrscht. Es ist kein Zufall, dass keine israelische Regierung der letzten Jahre ihre Amtszeit vollenden konnte. Niemand hat hier die Geduld, vier Jahre auf Ergebnisse zu warten. Das Leben ist schnelllebig und stressig, denn es könnte jederzeit vorbei sein. Jeder kennt jemanden, der in einem Krieg oder bei einem Terroranschlag ums Leben gekommen ist. Das macht alle Israelis zu Kriegsveteranen. Und so benehmen sie sich auch.
    Ein Deutsch-Israeli und Wahlberliner sagte mir neulich, er würde nie nach Israel zurückziehen. Da herrsche doch überall Krieg. Nicht nur in Gaza oder der

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