Guten Morgen, Tel Aviv
Westbank, auch im Supermarkt und bei der Parkplatzsuche. So wie er haben viele Israelis ausländische Pässe und die finanziellen Möglichkeiten zu gehen. Warum tun sie es nicht?
Es muss etwas mit diesem Gefühl zu tun haben, das jüdische Israelis spüren, wenn sie am Tel Aviver Flughafen landen und die ersten blauweißen Fahnen wehen sehen. Ich als Neu-Israeli habe dann immer Theodor Herzl im Ohr: »Wenn ihr wollt, ist es kein Märchen.« Im Judentum zählt nur ein Ort, Jerusalem. Und das liegt nun einmal hier. 2000 Jahre lang pflegten die in die Diaspora vertriebenen Juden ihre Sehnsucht nach Israel, Sicherheit und einem eigenen Staat. Wenn man so lange wartet, sinken wohl die Ansprüche. Und das mit der Sicherheit wird relativ.
Zurück auf der Tanzfläche sprangen wir alle, inklusive Rasta-Veteran, immer noch herum, als sei nichts. Als sei es nicht unerträglich, dass unter uns ein 28-Jähriger mit Glasauge weilte. Als wäre das Leben nicht heiß, stressig, teuer und gefährlich im Heiligen Land. Der DJ setzte zum letzten Lied an. Und seine Wahl beantwortete alle offenen Fragen. Die israelische Rockband »Mashina« donnerte ihren Hit »Ejn Makom acher« – »Es gibt keinen anderen Ort«. Israel ist der einzige jüdische Staat auf der Welt. Es gibt keinen anderen Ort. Mehr muss man dazu nicht sagen.
Parallelwelten: Die Orthodoxen
Neulich verlief ich mich im ultraorthodoxen Viertel in Jerusalem. Blöderweise konnte ich niemanden nach dem Weg fragen, denn orthodoxe Männer sprechen nicht mit Frauen. Geschlechtsgenossinnen waren nicht in Sicht. Ich war in der falschen Parallelwelt gelandet. Das kann hier schnell passieren. Israelis kommen aus über 60 verschiedenen Ländern der Welt, alle mit eigenen Sitten und Gewohnheiten. Vom In-Club zur streng orthodoxen Gemeinde sind es hier zuweilen nur wenige Kilometer. Nur selten stoßen die Parallelwelten aufeinander.
Und so stand ich als fleischgewordenes Beispiel eines solchen Aufpralls, aus der Welt der Säkularen – ja schlimmer noch, Atheisten – kommend, verloren herum, während Männer in schwarzen Anzügen und Hüten um mich herumhuschten. Eigentlich habe ich eine gute Orientierung. Zumindest war das in Deutschland noch so. In Israel jedoch überlagert das Gesamtchaos oft meine Orientierungsfähigkeit. Normalerweise kein Problem, sind doch die Israelis sehr hilfsbereit, was das angeht. Sowie sie jemanden sehen, der einen Stadtplan in der Hand hat, kommen sie auf einen zugestürmt und wollen helfen.
Nicht in dieser Welt. Die Orthodoxen haben ihre eigenen Regeln. Sie leben komplett abgeschottet von den Säkularen oder gar Nichtjuden. Wohnen in eigenen Stadtvierteln, besuchen eigene Schulen, lesen eigene Zeitungen und schauen kein Fernsehen. Ihr Internet ist kontrolliert, sodass sie nur Seiten, die orthodox-konform sind, aufrufen können. In bestimmten Buslinien in Jerusalem sitzen fast nur »Schwarze«, wie die orthodoxen Juden oft genannt werden. Das ist besonders doof, wenn die Männer dann einzeln alle Zweierplätze belegen. Sich als Frau danebenzusetzen geht nämlich nicht so einfach. Ein orthodoxer Mann darf partout keine Frau berühren, die er nicht geheiratet hat.
Normalerweise sehe ich die Schwarzen gerne. Ich finde, in Städten wie New York, London oder Paris geben sie dem Ganzen ein kosmopolitisches Flair. Schon immer dachte ich, dass das eines der Stadtbildmerkmale ist, was Berlin fehlt, um eine wahre Großstadt zu werden. Auch in Israel beobachte ich gerne, wie diese besonderen, aus einer völlig anderen Welt kommenden Wesen durch die Straßen ziehen.
Für die meisten säkularen Israelis jedoch stehen die Orthodoxen immer mehr stellvertretend für eine Bedrohung ihrer Freiheit. Denn während sie in anderen Ländern Minderheiten stellen, sind sie in Israel sehr kinderreich und auf dem Weg, eine Mehrheit zu werden. Auch arbeiten die meisten Orthodoxen in anderen Ländern. Im Heiligen Land jedoch leben zwischen 50 bis 70 Prozent der orthodoxen Juden von staatlichen Mitteln, und das, obwohl ein Teil von ihnen Israel nicht einmal anerkennt (sie glauben, dass nur Gott selbst den Staat Israel errichten darf). Schon jetzt stellen sie eine Partei, die als Teil der Regierung überall mitmischt und Gesetze durchsetzt, die für die noch die Mehrheit stellenden säkularen Israelis gar keinen Sinn machen.
So protestieren und blockieren die Orthodoxen, wo es nur geht, modern-weltliche Angelegenheiten. Ob das Plakatwerbungen für Dessous oder die für die Tram
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