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Guten Morgen, Tel Aviv

Guten Morgen, Tel Aviv

Titel: Guten Morgen, Tel Aviv Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katharina Hoeftmann
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hin, wie folgsam die Deutschen doch sind. Und dass es wirklich keinen Grund gibt, nicht vor das Gebäude zu fahren. Kurze Zeit später sagte mir eine Hotelangestellte, ich dürfe die Tür zur Terrasse nicht öffnen. Da sie mir aber nicht erklären konnte warum, machte ich es trotzdem. Ich habe angefangen, Verbote zu hinterfragen. Kommen sie mir sinnlos vor, ignoriere ich sie. In Israel vollkommen legitim, in Deutschland ein Kapitalverbrechen.
    Doch meine regelhinterfragende und damit immerhin noch ansatzweise rationale Art ist nichts im Vergleich zum gemeinen Israeli. Der versucht nämlich nicht einmal, eine Argumentationskette aufzubauen, warum eine Regel keinen Sinn macht. Er ist einfach so dagegen. Neulich sah ich auf der Straße vor unserem Haus einen israelischen Hilfspolizisten. Parkplätze sind in Tel Aviv Mangelware. Deswegen habe ich hier kein Auto. Außerdem bin ich Berlin-Mitte-geschädigt. Viele Male suchte ich in Berlin mein Auto vergeblich, weil es abgeschleppt worden war. Meistens wegen irgendwelcher beknackten Berlin-Mitte-Coolo-Filme, die ausgerechnet genau vor meinem Haus gedreht werden mussten. Weswegen in Berlin aus normalen Parkplätzen innerhalb von 72 Stunden Extrem-Halteverbots-Zonen werden konnten. In Tel Aviv sind die Gefahren anderer Natur. Niemand begreift hier die Parkregeln. Irgendwelche Farbmarkierungen auf der Straße müssen in Zusammenhang mit den hebräischen Straßenschildern gebracht werden. Zu der Zeit darf man nur rechts, zu einer anderen Zeit nur links parken. Es ist mehr als kompliziert. Das macht aber nichts. Daran halten würde sich eh niemand. Wie ich am Beispiel des israelischen Hilfspolizisten vor meinem Haus verdeutlicht sah, auf den in diesem Moment ein junger, dunkelhaariger, gebräunter Prolet zustürmte. Die Hosen tief im Schritt, die Goldkette glänzend in der Sonne.
    Der dürre Typ brüllte den Politessen-Mann bedrohlich quer über die Straße an. Er hatte es gewagt, ihm einen Strafzettel zu geben. Beim genauen Blick von meiner Terrasse sah ich, dass der Proll tatsächlich im Halteverbot stand. Natürlich sind solche Vergehen zu vernachlässigen in einer Stadt, in der Leute es sich zum Sport machen, Einbahnstraßen in alle Richtung zu befahren. Deswegen schrie der Ars einfach drauflos, ohne Argumentationslinie, dass der Politessen-Typ das ja wohl nicht machen könne. Er stand doch nur ganz kurz da (ich schätze, er blockierte mit seinem Wagen mindestens zwei Stunden die Einfahrt), und sowieso sollte der Politessen-Heini sich hier mal nicht so aufspielen.
    Was sagt man da als Politessen-Mensch? Wo fängt man an zu erklären bei jemandem, der so offensichtlich dazu erzogen wurde, Regeln zu brechen und Autoritäten zu missachten? Ist man nett oder unfreundlich? Geht man weg oder ruft man gleich die Kollegen? Wie geht man mit einem Volk um, das Regeln ignoriert, wenn man selbst dafür verantwortlich ist, dass Regeln eingehalten werden? Und ist man privat dann auch noch regeltreu? Ich weiß es nicht, aber ich weiß, dass ich gestern die Frau kennengelernt habe, die die Antworten hat.
    Ich traf sie im Tel Aviver Amtsgericht, wo ich war, um gemeinsam mit meinem wunderbaren Lebensgefährten Geld zu erstreiten. Vor vielen Monaten haben wir im Süden von Tel Aviv ein Sofa gekauft, das mit einem handelsüblichen Sofa, als es dann in unser Wohnzimmer geliefert wurde, nicht viel zu tun hatte. Als wir daher unser Geld zurückhaben wollten, begaben wir uns auf den Rechtsweg. Im Endeffekt hat ja alles sein Gutes, denn nur so konnte ich Richterin Bibi-Maman treffen. Drei verschiedene Fälle erlebten wir im Gerichtssaal mit, bevor wir aufgerufen wurden. Dreimal israelische Männer, die alle dachten, sie wären im Recht. Alle Verhandlungen zu Autounfällen. Nicht umsonst ist die Straße der Ort, an dem in Israel am meisten Regeln gebrochen werden.
    Richterin Bibi hatte die Männer unter Kontrolle, wie ich es noch nie gesehen habe. Sie saß auf ihrem Podest wie die Bienenkönigin. Jedes unnötige Summen von unten strafte sie mit strengem Blick. Jedes Aufbegehren mit zischenden Tönen. Ich habe israelische Männer noch nie so handzahm gesehen. Niemand schrie. Niemand feilschte. Alle waren brav wie kleine Schuljungs. Beschämt starrten sie auf den Fußboden und räumten Fehler ein. Ja, gar Regelverstöße. Ich platzte vor Neid. Sah die Dame in schwarz-weißer Robe beim genaueren Hinschauen nicht aus wie das Fräulein Rottenmeier, das schon die wilde Heidi aus den Alpen unter Kontrolle

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