Guten Morgen, Tel Aviv
Ständig wollen wildfremde Menschen, dass ich mich ausweise. Selbst beim Tanken muss man an der Selbstbedienungszapfsäule die Personalausweisnummer eingeben. Israelis haben sie deswegen immer im Kopf. In meinem Kopf dagegen scheppern nur noch Alarmglocken. Ich habe es satt, ständig benachteiligt zu werden. Mein wunderbarer Lebensgefährte versucht, meine Wut zu dämpfen, indem er Sachen wie »Irgendwann hast du auch eine Tehudat Zehut, und dann ist alles gut« sagt. Mittlerweile plane ich jedoch, mich auf Lebenszeit zu weigern, die israelische Staatsbürgerschaft anzunehmen. Aus Protest und aus Prinzip. Ich bin ein wütender Immigrant geworden. Zum ersten Mal in meinem Leben bin ich eine Minderheit. Ich lebe in einem Land, das nicht meine Heimat ist und mir das anscheinend gerne vor die Nase hält. Wahrscheinlich brenne ich bald Autos ab.
Heute Morgen dann prasselte all die Wut, die Frustration, die Empörung verbittert auf eine harmlose Angestellte am Bankschalter nieder. Gut gelaunt wollte ich eigentlich nur Geld auf mein Konto einzahlen. Da sagt die Bankfrau durch ihre Scheibe das Reizwort. Tehudat Zehut. Ich begann zu schreien, dass ich keine habe! Und auch keine will von diesem personalausweisverrückten Psycho-Land! Dass sie allgemein nach irgendeinem Ausweis fragte, hörte ich in meiner Rage schon nicht mehr. Dass sie eigentlich ganz nett lächelte, sah ich nicht mehr. Es war vorbei, ich drehte durch.
Die Bemerkungen vonseiten eines sich einmischenden Israelis (auch davon gibt’s ja hier genug!), das sei doch nur ein Missverständnis, walzte ich brüllend nieder. »Ach ja??? Alles ist hier immer irgendwie ein Missverständnis! Ups, Sie sind gar kein Terrorist. Sorry, dass wir Sie gerade wie einen behandelt haben und dabei wertvolle Stunden Ihres Lebens raubten. Und sowieso. Nichts funktioniert hier jemals reibungslos! Und vor allem dann nicht, wenn man diese verdammte Plastikkarte nicht hat!!!« Ich war ein migrantischer Tehudat-Zehut-Amokläufer in einer israelischen Bank. Ich schrie mich um mein Leben.
Später würde in der Zeitung stehen, dass mein Gebrüll afrikanisch klang, man vermute, ich gehöre einer Terrorsplittergruppe aus Timbuktu an. Zum Glück konnte man mich unschädlich machen, bevor Schlimmeres passierte. Auf meinen Grabstein schrieb man: Hier ruht Katharina Höftmann. Sie hatte keine Tehudat Zehut.
Hoffnung to go-go
Ich liebe Israel. Denn neulich war ich auf einer Hochzeit mit Go-go-Tänzerinnen. Ich war natürlich noch auf keiner Hochzeit in Schweden oder Vietnam, aber ich vermute, da gibt es so etwas nicht. Und in Deutschland kann ich mir auch nicht vorstellen, wie der steife Bräutigam im Anzug mit zwei halb nackten Go-gos abdampft. In Israel ist alles möglich. Niemand der Hochzeitsgäste fand es auch nur annähernd erstaunlich, dass leicht bekleidete Mädchen bezahlt wurden, um die Gäste zu animieren. Israel ist einzigartig. Originell und lustig.
Und das, obwohl es eigentlich klein und unbedeutend sein könnte. Man darf nicht vergessen, hier leben nicht einmal acht Millionen Menschen auf einer Fläche so groß wie El Salvador. Und wann hört man schon einmal was über El Salvador? Außerdem haben die Israelis so viele Probleme, dass man überrascht ist, dass sie überhaupt noch originell und lustig sein können. Ich glaube, wenige hier sind sich sicher, dass es ihr Land in 100 Jahren noch geben wird. Schon 50 sind kritisch. Also muss im Hier und Jetzt alles ausprobiert und vorangetrieben werden. Das Land ist einfach so wahnsinnig durstig.
Vor einigen Tagen fragte mich ein deutscher Journalist, wie es ist, hier zu leben. Ich berichtete von all meinen Problemchen und Problemen. Von dem Chaos und der Unorganisiertheit, die mich in den Wahnsinn treibt. Dem Lärm und Stress. Doch dann sagte ich, dass ich Israel trotzdem liebe. »Warum?«, fragte er skeptisch. Weil das Land Herz hat! Und die schönste Hymne der Welt. In der heißt es unter dem Titel »Hoffnung«:
Solang noch im Herzen
eine jüdische Seele wohnt
und nach Osten hin, vorwärts,
das Auge nach Zion blickt,
so lange ist unsere Hoffnung nicht verloren,
die Hoffnung, zweitausend Jahre alt,
zu sein ein freies Volk, in unserem Land,
im Lande Zion und in Jerusalem.
Das erste Mal, als mir klar wurde, was diese Hymne eigentlich bedeutet, war vor einigen Jahren in Berlin. Der deutsch-jüdische Historiker Arno Lustiger hatte zu einer Lesung eingeladen und erzählte vom Holocaust und den Lagern, die er gesehen hatte. Im
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