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Guten Morgen, Tel Aviv

Guten Morgen, Tel Aviv

Titel: Guten Morgen, Tel Aviv Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katharina Hoeftmann
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Regelung mittelalterlich ist. Anstatt aber das ganze Konzept abzuschaffen, laviert man um das Rabbanut herum (denn dies darf im jüdischen Staat alles). Wird ein Kind in Israel in einer Ehe geboren, geht man immer davon aus, dass der Ehemann der Vater ist. So weit nicht ungewöhnlich. Aber wird ein Kind, sagen wir, acht, neun Monate nach einer Scheidung geboren, wird als Vater ebenfalls der Exmann eingetragen. Denn ansonsten: Mamser-Gefahr. Und nicht nur das. Laut Gesetz in Israel kann ein Ehemann, der seine Vaterschaft anzweifelt, dagegen nicht zivilrechtlich vorgehen. Damit will man vermeiden, dass Beweismittel, die dem Kind den Status Mamser auferlegen könnten, überhaupt geschaffen werden. Von den Problemen, die durch Samenspenden entstehen, will ich gar nicht reden.
    Apropos Samenspenden. Gleichzeitig können lesbische Frauen in Israel ohne Probleme künstliche Befruchtungen und Samenspenden über ihre Krankenkassen in Anspruch nehmen, was ich sehr modern finde. Ihre eheähnlichen Gemeinschaften werden auch anerkannt.
    Ach so, und wussten Sie, dass in Israel USB -Stick, Handy und Mailbox erfunden wurden? Dass die israelische Ministerpräsidentin Golda Meir die erst zweite Frau weltweit in einer staatsführenden Position war? Dass ein Israeli ein Gerät entwickelt hat, mit dem Querschnittsgelähmte wieder gehen können? Und natürlich gibt es hier relativ gesehen die höchste Prozentzahl an Universitätsabsolventen, Ärzten, Computern und Museen. Nicht zu vergessen die vielen ultraorthodoxen Juden, die als Informatiker in Hightech-Unternehmen arbeiten, aber um Gottes willen bloß kein Fernsehen gucken.
    Das gibt’s nur hier, wo Neuzeit und Altertum sich jeden Tag die Hand geben. Die Wahrheit ist, Israel lebt nicht im 21. Jahrhundert. Am Ende mag das seine bedeutendste Erfindung sein, eine neue Zeitepoche: das Hightech-Mittelalter.

Identitätsamok
    Tehudat Zehut. Was klingt wie ein afrikanischer Schlachtruf, heißt tatsächlich Personalausweis auf Hebräisch. Ein formales, sperriges Wort, das, wenn man es in Deutschland gesagt bekommt, oft mit Unannehmlichkeiten verbunden ist. Man hört es im Amt (unangenehm!) oder von Polizisten (noch unangenehmer), manchmal auch beim Einkaufen. »Können Sie sich bitte ausweisen?« In Israel steht Tehudat Zehut für mehr. Es trennt Israelis von den anderen.
    Das erste Mal, als mir dies klar wurde, war, als ich online Tickets für ein Konzert in Tel Aviv kaufen wollte. Ich sollte dafür nicht nur die gewöhnliche Kreditkartennummer eingeben, nein, auch meine Personalausweisnummer war gefragt. Ich versuchte es mit der deutschen, nichts. Die helfende Hotline-Stimme klärte mich auf: Ich bräuchte dafür eine israelische Personalausweisnummer. Ich könne die Karten aber gerne persönlich kaufen, nur im Internet ginge es eben nicht. Dass ich mich deshalb benachteiligt fühle, tue ihr ehrlich leid. Ich machte mich auf den langen Weg zum Ticketschalter.
    Letzte Woche dann erklärte mir die Sekretärin im Sprachkursbüro, dass ich Touristin sei und deswegen mehr bezahlen müsse. Während ich aufgeregt darlegte, dass ich doch aber eine Aufenthalts- und Arbeitsgenehmigung sowie eine Tel-Aviv-Anwohnerkarte hätte, in Israel sogar Steuern zahle und daher keine Touristin sein könne, wiederholte sie stoisch ihr Mantra: Te-hu-dat Ze-hut! Die hätte ich nicht, und damit sei ich Touristin. Basta. Ich bezahlte mehr.
    Man fühlt sich schnell außen vor, wenn einem immer wieder vorgehalten wird, dass man keine Staatsangehörigkeit hat.
    Meistens schieben Israelis Sicherheitsbelange vor. Letztes Jahr machte ich mit der gesamten Schwiegerfamilie einen Schiffsausflug nach Zypern. Eine Deutsche eingebunden in eine Gruppe von zwölf Israelis. Ich hätte eine von ihnen sein können. Hätte. Die fehlende Tehudat Zehut führte dazu, dass ich bei der Abreise 30 Minuten ins Kreuzverhör genommen wurde. Das Hafen-Sicherheitspersonal scheute sich nicht vor intimen und dusseligen Fragen (»Was werden Sie in einem Jahr machen?« Ich weiß es noch nicht, wissen Sie es schon?). Sie behandelten mich, als stünde in meinem Pass »Osama« unter Vorname. Beim Versuch, nach dem Trip wieder in Haifa einzureisen, zog man mich dann wiederum aus der Schlange. Keine Tehudat Zehut. Dafür neugierige Blicke von paranoiden Israelis.
    Ich lebe gerne hier, aber dieser Sicherheitswahn (auch wenn er noch so begründet ist) macht mich verrückt. Überall muss man Taschen öffnen, sich abtasten lassen oder Fragen beantworten.

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