Gwen (German Edition)
Sonntag jegliche Rasur eingestellt. Auch seine Haare wirkten länger und wirrer als in Ellmstadt.
Gebannt beobachtete Gwen das Zusammenspiel seiner gewalt igen Muskeln, als er die Axt schwang und in treffsicherer Präzision das Holz spaltete. Gwen zuckte bei jedem Schlag innerlich zusammen. Schaudernd dachte sie an den Kuss am Strand und wie nahe sie davor gewesen war, jegliche Kontrolle über sich zu verlieren. Und auch jetzt spürte sie zu ihrem größten Entsetzen das Verlangen, seinen schweißglänzenden Körper zu berühren, und mit ihren Händen zu ertasten, wie sich die Haut über den Muskelpaketen spannte, deren Volumen die Adern an Hals und Unterarmen hervortreten ließ.
Wie sehr sie diesen Mann hasste!
„Guten Morgen!“, ertönte es von der Küchentür.
Gwen fuhr vor Schreck zusammen, so dass sie die Schale mit den Cornflakes umstieß. Ihre Mutter rollte missbilligend die Augen, als Gwen sich anschickte, den Schaden mit einem Küchenlappen zu beheben.
„Wie kommt Statler dazu, unser Holz zu hacken?“, erkundigte sich Gwen.
Ihre Mutter stellte einen Korb mit Bügelwäsche auf den nächsten Stuhl. „Nun reg’ dich bitte nicht schon wieder auf! Er hat mich darum gebeten, und ich fand es sehr freundlich von ihm. Natürlich habe ich es zunächst abgelehnt, denn es geht ja nicht an, dass ein Bed&Breakfast-Gast bei den O’Connors den doppelten Preis bezahlt und dann auch noch zum Holzhacken eingespannt wird. Doch er hat gesagt, er würde sich hier bei uns zwar sehr wohl fühlen, nur sein sportliches Training würde er vermissen. Er müsste etwas tun, um nicht einzurosten, sagte er. So habe ich es ihm gestattet.“
Gwen ging nicht näher darauf ein. Es war sowieso sinnlos . „Hast du etwas einzukaufen?“, fragte sie stattdessen. „Ich gehe nämlich gleich in die Stadt.“ Je früher, desto besser. Solange er noch beim Holzhacken war.
„Nein danke . Du warst doch erst gestern mit Maureen einkaufen. Und vorgestern.“
„Heute gehe ich mit Ian. Er braucht einen neuen Toaster.“ Außerdem musste sie sich von Maureen unbedingt endlich irgendeines ihrer Naturheilmittel gegen Erkältungen geben lassen.
„ Na schön, doch ich wäre dir sehr verbunden, wenn du zuerst den Abwasch erledigen könntest.“
Zum Glück war es nicht viel Geschirr. Wenn sie schnell genug arbeitete, würde sie es scha ffen, bevor Statler ... Eine Tasse entglitt Gwens hastigen Bewegungen und zerschellte protestierend auf einem Teller, der daraufhin auch gleich zu Bruch ging.
„Gwendolin, bitte! Ausgerechnet Tante Marys Hochzeitstasse.“
„Tut mir Leid!“, erwiderte Gwen kleinlaut und beseitigte die Scherben, wodurch der Abwasch noch länger dauerte. Nur wegen ihm!
Während Gwen weiter abwusch, erzählte ihre Mutter, wie besorgt ihr Vater der neusten Preisentwicklung auf dem Schafwollmarkt entgegensah.
Eine Finanzspritze von fünfzig- oder sagen wir hu nderttausend ... Dieser Dreckskerl!
Als Gwen fertig war und sich umdrehte, fiel ihr Blick auf den Wäschekorb und e rfasste unter all den Arbeitshosen ihres Vaters ein verräterisches Jeanshemd. „Das gehört doch Statler! Wie kommst du dazu, auch noch seine Wäsche zu waschen?“
„Gwendolin, bitte! Es macht mir nichts aus, ein paar Hemden mehr zu waschen. Und außerdem hat er ...“
„Ich weiß schon. Außerdem hat er den doppelten Preis bezahlt!“
„Allerdings. Und du tätest gut daran, dich ihm gegenüber an dein gutes Elternhaus zu eri nnern. Und dann diese Schnapsidee, mit deinen verrückten deutschen Freunden gegen einen netten Mann wie ihn gerichtlich vorzugehen! Immerhin hat er eine renommierte Firma. Ich habe auch schon Triustat eingenommen, als ich immer diese Migräne hatte. Es hat gut geholfen. Wie kommst du überhaupt dazu zu glauben, dass ausgerechnet du irgendetwas gegen einen so bedeutenden Pharmakonzern ausrichten kannst?“
Entnervt warf Gwen das Geschirrtuch hin und eilte aus dem Haus, wo Barry sie sogleich ansprang. Durch die Zuneigung des Hundes ein bisschen besänftigt beugte Gwen sich zu ihm herab, um ihn zu streicheln. Sein eifrig wedelnder Schwanz peitschte ihre Beine, und sie genoss die lebensfrohe Vitalität, die unter seinem Fell vibrierte.
Als sich Gwen wieder erhob, stand Dirk Statler vor ihr. Das Hemd über der rechten Schulter, schwitzend und hinterhältig maskulin. Gwen und Barry versperrten ihm den Weg zum Hauseingang.
„Hallo, Gwen !“, grüßte er grinsend. „Haben Sie es heute also nicht geschafft, früh aus dem Haus
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