Gwydion 02 - Die Macht des Grals
wie eine hell leuchtende Silberscheibe stand. „Wir können jedenfalls nicht hier bleiben. Hier oben werden sie als Erstes nach uns suchen. Der Gral darf auf keinen Fall in ihre Hände fallen.“
Hastig rafften sie ihre Sachen zusammen und stopften sie in den Beutel. Rowan band sich erneut den Schild auf den Rücken, während Gwyn den Beutel an seinem Gürtel befestigte. Vorsichtig liefen sie geduckt zur anderen Seite des Hügels, wo sie sich mit der sperrigen Kiste an den mühseligen Abstieg machten. Zum ersten Mal seit langem waren auch die Raben still. Als wären sie in diesem Landstrich zu Hause, lotsten sie die beiden Knappen durch das immer dichter werdende Unterholz, bis sie auf einmal am Rand einer weiten Ebene standen.
„Das gefällt mir überhaupt nicht“, sagte Rowan leise und schaute nervös über seine Schulter. „Hier draußen haben wir so gut wie keine Deckung. Wenn Mordreds Männer uns hier erwischen, sind wir verloren.“
Dennoch erwiesen sich die Raben als unerbittliche Führer, die keinen anderen Weg akzeptierten.
„Folgen wir ihnen. Bisher haben wir den Raben doch noch immer vertrauen können“, sagte Gwyn. Er machte einen beherzten Schritt nach vorne und versank zwischen dem hohen Gras fast augenblicklich bis zu den Knien in einer zähen, schwarzen Brühe. Nur mit Mühe konnte er sein Gleichgewicht halten und sich wieder auf festen Grund hochziehen.
„Raben als Führer durch ein unbekanntes Moor!“ Rowan schüttelte seinen Kopf. „Wenn mein Vater davon erfährt, dass ich mich auf solch ein waghalsiges Abenteuer eingelassen habe, lässt er mich einen Monat in Meister Arnolds Küche schuften.“
Auch Gwyn war sich nicht sicher, ob sie mit den finsteren Gesellen im Rücken und dem gefährlichen Morast vor ihnen nicht in eine Falle getappt waren. Doch als ob sie all die Zweifel Lügen strafen wollten, wichen die Raben nicht von ihrer Seite und dirigierten Rowan und Gwyn auf einen halbwegs festen Untergrund.
Den Kasten im Schlepptau stolperten Gwyn und Rowan durch sumpfige Wiesen und verschnauften auf schwimmenden Inseln, nur um sogleich von den Raben zum Weiterziehen gedrängt zu werden.
Auch wenn dieses Moor nur wenig Ähnlichkeit mit dem Wüsten Land um Dinas Emrys hatte, so war das Gefühl der Hoffnungslosigkeit mindestens ebenso stark. Die Nebelschwaden reichten ihnen zwar nur bis zum Bauch, doch waren sie so dicht, dass Gwyn und Rowan ihre Füße nicht mehr sahen.
Außerdem schien das Moor bei weitem nicht so verlassen zu sein, wie es zunächst den Anschein gehabt hatte.
„Siehst du das?“, rief Gwyn, als das erste Licht aufflackerte. Sie blieben einen Moment stehen und schauten sich erschöpft um. Es war, als würde nicht weit von ihnen eine Ansammlung von Häusern stehen, in deren Fenstern nun bei Einbruch der Nacht Dutzende von Lampen und Kerzen entzündet wurden. „Ein Dorf!“
„Ja, ich sehe die Lichter auch“, sagte Rowan keuchend und wischte sich den Schweiß von der Stirn. „Aber lass dich nicht davon täuschen – das sind Irrlichter. Sie sind die verzweifelten Seelen der Menschen, die hier an diesem schaurigen Ort zu Tode gekommen sind und ihn nun auf ewig nicht mehr verlassen können.“
Gwyn schüttelte sich. „Ich will dieses Moor so schnell wie möglich hinter mir lassen“, sagte er und stand auf. „Ich weiß nicht, wie ich mich ausdrücken soll, aber ich bin noch nie an einem Ort gewesen, der so… so böse ist!“
„Du hast Recht“, sagte Rowan ernst. „Wir sollten sehen, dass wir weiterkommen.“ Gemeinsam nahmen sie die Kiste wieder auf und wollten weitermarschieren, als Gwyn wie versteinert stehen blieb.
„Sie sind fort!“, sagte er.
„Wer?“, fragte Rowan verwirrt.
„Die Raben! Sie sind nicht mehr da!“ Gwyn, der vor Angst am ganzen Körper zitterte, drehte sich zu Rowan um. „Ohne die Raben werden wir niemals hier herausfinden. Es wird nicht lange dauern, dann werden zwei weitere Irrlichter über den fauligen Wassern schweben.“
„Red keinen Unsinn“, fuhr ihn Rowan barsch an. „Ich für meinen Teil bin jedenfalls froh, dass sie verschwunden sind. Sie waren unheimlicher als alle Moore, die ich kenne.“ Er setzte sich in Bewegung. „Los jetzt. Wir müssen nur darauf achten, dass wir nicht den festen Grund unter unseren Füßen verlieren.“
Die Gestalt war wie aus dem Nichts vor ihnen aufgetaucht. Erst als das Pferd, auf dem sie saß, leise schnaubte, wusste Gwyn, dass Ross und Reiter kein Trugbild waren. Ohne ein Wort zu
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