Gwydion 03 - König Arturs Verrat
kommenden König? Was Aileen von ihm erwartete, lag auf der Hand, doch welche Pläne hatte Merlin? Je mehr er darüber nachdachte, desto deutlicher wurde das Gefühl, die Figur in einem undurchsichtigen Spiel um Macht und Einfluss zu sein, bei dem der Gewinner als Preis die Herrschaft über Britannien erhalten würde: mit seiner Hilfe oder – was viel beängstigender war – durch seinen Tod. Wem würde Gwyn noch trauen können, wenn sein Geheimnis keines mehr wäre? Er war der letzte Gralshüter, der letzte Spross eines Geschlechts von Königen, die im Geheimen über Jahrhunderte den größten Schatz der Christenheit, vielleicht sogar der Menschheit, gehütet hatten, bis der Gral vor vierzehn Jahren unter bislang ungeklärten Umständen verschwunden war. Wie viel Blut war vergossen worden, wie viele Leben hatte die Suche nach ihm zerstört?
Gwyn zuckte zusammen, als die Läden an seinem Fenster durch eine plötzliche Windböe aufgerissen und mit einem lauten Knall gegen die Außenmauer geschleudert wurden, um dann wie wild hin und her zu schlagen. Gwyn sprang auf, um sie wieder zu schließen, als plötzlich etwas seinen Atem stocken ließ.
Im verlassenen Bergfried brannte Licht!
Aber das konnte nicht sein! Sir Gore hatte doch selbst gesagt, dass er bald abgerissen werden sollte, weil er völlig baufällig war!
Der Regen schlug ihm ins Gesicht und er kniff die Augen zu. Als er sie wieder öffnete, war das Licht erloschen. Verdutzt starrte Gwyn in die Dunkelheit. Hatte er sich alles nur eingebildet? Er wollte gerade das Fenster wieder schließen, als er sah, wie ein Schatten den kleinen Hügel, auf dem der Turm stand, hinablief und im Dunkeln verschwand.
Gwyn verriegelte die Läden und lief auf Zehenspitzen zur Tür, um sie leise zu öffnen. Vorsichtig lauschte er in die Dunkelheit. Er hörte Stimmen! Nicht laut, doch laut genug, dass der erregte Tonfall die Sprechenden verriet.
Es waren Mara und Sir Gore.
Leise tapste Gwyn zur Treppe und presste sich gegen die kalte Wand.
„Ich sagte, du sollst mich loslassen“, zischte Mara.
„Das tue ich erst, wenn du wieder zur Vernunft gekommen bist“, kam Sir Gores aufgebrachte Antwort. Obwohl er flüsterte, konnte Gwyn die Wut in seiner Stimme hören.
„Komme mir nicht mit Vernunft! Das ist alles ein kompletter Irrsinn!“
„Nicht so laut! Oder willst du, dass dieser Sir Lancelot und sein neunmalkluger Knappe alles hören?“, fuhr Sir Gore sie an.
„Das ist mir gleich. Irgendwann wird dein Geheimnis keines mehr sein. Und dann gnade dir Gott.“
„Du steckst in dieser Sache ebenso tief drin wie ich.“
„Aber nur, weil ich auf deine Versprechungen hereingefallen bin! Seit vierzehn Jahren versprichst du mir, mich zur Herrin von Chulmleigh zu machen, doch nun ist meine Geduld zu Ende. Hörst du? Zu Ende!“
„Willst du mir drohen, Mara?“
Die Antwort war seltsam erstickt, so als versuchte jemand, ihr den Mund zuzuhalten. Dann vernahm Gwyn ein Keuchen, gefolgt von einem lauten Klatschen.
„Oh, ich sehe, in deinem Herzen brennt noch immer ein Feuer für mich.“
„Fahr zur Hölle, Gore von Chulmleigh“, fauchte Mara, dann entfernten sich ihre Schritte eilig.
„Du liebst mich immer noch, Mara“, rief Sir Gore ihr hinterher. „Und solange dies sich nicht ändert, mache ich mir keine Sorgen.“ Eine Tür wurde zugeschlagen, dann kehrte wieder Stille ein.
Gwyn wartete mit angehaltenem Atem, bis das letzte Geräusch verklungen war, und holte erst dann Luft. Das Herz schlug ihm bis zum Hals. Wieso hatte in dem verlassenen Turm Licht gebrannt? Offensichtlich war Mara in dieser Nacht hinaufgestiegen, doch was hatte sie dort zu tun gehabt? Was versteckte Sir Gore dort oben? Was war das für ein Geheimnis, das die beiden hüteten?
Gwyn wagte es kaum, den Gedanken zu Ende zu denken, der plötzlich in seinem Kopf Gestalt annahm. Bevor Valeria in Chulmleigh aufgetaucht war, hatte sie die Burg aufgesucht. Was hatte sie hier gewollt?
Der Gral!
Konnte es sein, dass sie ihn nicht unterwegs versteckt hatte, sondern dass er sich hier befand? In dieser Burg? In diesem Turm? Seine Knie wurden weich. Natürlich, Sir Gore war im Besitz des geheimnisvollen Kelchs! Dies war der Schatz, nach dem er sein Leben lang gesucht hatte, die Krönung seiner Sammlung!
Gwyn wirbelte herum und hastete in sein Zimmer, um seine Stiefel zu holen. Er klemmte sie sich unter den Arm und schlich barfuß die Treppe hinunter. Erst als er den unteren Absatz erreichte, zog er sie mit
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