Gwydion 04 - Merlins Vermächtnis
ihren Augen zu nehmen.
Sein Herz machte vor Freude und Erleichterung einen Sprung, als er die Berge erkannte, auf denen die Gralsburg thronte, die im Licht der aufgehenden Sonne leuchtete. Vor ihnen lag im Tal das Dorf, dessen Bewohner bereits zu dieser frühen Stunde auf den Beinen waren, um die Felder zu bestellen.
Gwyn brachte sein Pferd neben dem von Roderick zum Stehen, der mit offenem Mund dem Zauber dieses Anblicks erlag.
„Es ist ein Wunder!“ rief der Priester bewegt. „So muss sich Moses gefühlt haben, als er sein Volk in das Gelobte Land Kanaan geführt hat!“
„Mit dem einen Unterschied, dass er es im Gegensatz zu Euch nicht betreten durfte“, sagte Gwyn nicht ohne Stolz. „Willkommen in Dinas Emrys, Roderick.“
Er schnalzte mit der Zunge und gemächlich ritten sie den Hügel hinab, als Gwyn auf halbem Weg feststellte, dass Rowan und Muriel ihnen nicht folgten.
„Wo bleibt ihr?“ rief Gwyn. Als sie ihm nicht antworteten, ritt Gwyn zu ihnen zurück. „Was ist? Was fesselt eure Aufmerksamkeit?“
Rowan starrte mit zusammengekniffenen Augen zum Horizont und Gwyn folgte seinem Blick. Dann sah er es auch.
„Ein Reiter? Wie ist das möglich?“, fragte er, mehr überrascht als beunruhigt.
„Sieht so aus, als sei man uns gefolgt“, antwortete Rowan ernst.
„Das kann nicht sein“, murmelte Gwyn. „Der Zauber der auf diesem Land liegt…“
„… wirkt nicht mehr oder ist überlistet worden.“
Gwyn schwieg bestürzt. Wenn dies tatsächlich der Fall war, hatte Dinas Emrys seinen Schutz verloren.
„Kannst du erkennen, ob es einer von Mordreds Männern ist?“
„Der Reiter ist nicht schwarz gekleidet und trägt auch keinen Drachen auf der Brust“, sagte Muriel.
„Also ist er keiner von Mordreds Männern“, sagte Gwyn erleichtert.
„Ein Sachse?“, fragte Rowan.
Muriel schüttelte den Kopf und beschattete nun mit der Hand ihre Augen. „Nein, es ist ein Ritter.“
„Kannst du seinen Schild erkennen?“, fragte Gwyn.
Muriel nickte. „Es ist ein schwarzer Vogel.“
„Vielleicht ein Adler?“
„Kein Adler. Eher ein Schwan oder etwas in der Art…“
Gwyn und Rowan schauten sich überrascht an.
„Ich kenne nur einen, der solch ein Tier im Wappen führt“, sagte Gwyn. „Sind da auch noch Sterne, sechs an der Zahl?“
Muriel nickte verdutzt. „Ja, woher weißt du das?“
Gwyn presste die Lippen zusammen, gab aber keine Antwort.
„Wie ist es diesem Kerl nur gelungen, hinter das Geheimnis der Gralsburg zu kommen?“, fragte Rowan wütend.
„Das werden wir ihn gleich selber fragen können“, sagte Gwyn und zog sein Schwert. Nun war auch Lancelot bei ihnen.
„Wir bekommen Besuch“, sagte Gwyn, bevor Lancelot etwas sagen konnte.
Es dauerte nicht lange, da fiel das fremde Pferd vom Galopp in einen leichten Trab.
„Oh, es scheint, wir sind da!“, sagte der Reiter erfreut, zog einen schmutzigen Sack vom Kopf und holte tief Luft. „Gott sei Dank, ich habe den Gestank dieses Lumpens beinahe nicht mehr ertragen können. Demnächst werde ich mir etwas anderes einfallen lassen müssen.“ Als er Gwyn erblickte, strahlte er über das ganze Gesicht. „Wie schön, dich wiederzusehen! Meiner Treu, bist du in der kurzen Zeit stattlich geworden! Beinahe majestätisch!“
„Das kann man von Euch nicht behaupten, Sir Urfin“, entgegnete Gwyn kühl.
Urfin schaute an sich hinab. Der Waffenrock, den einst ein wohlgenährter Bauch ausgefüllt hatte, hing ihm nun lose am Leib. „Ja“, seufzte er. „Mein Leben war hart in den letzten Monaten. Ich vermisse sogar Meister Arnolds Küche, die ja nie besonders gut…“
„Was habt Ihr hier verloren?“, herrschte ihn Lancelot an. „Zunächst will ich Lady Katlyn begrüßen und mich der jungen Dame vorstellen, die hinter Rowan Platz auf seinem Pferd gefunden hat“, sagte er mit einem gewinnenden Lächeln, das er nun Muriel schenkte. „Mein Name ist Urfin und ich war auf Camelot Gwyns erster Herr. Ich bin nunmehr ein fahrender Ritter, Freund der schönen Künste, des guten Lebens und in den Augen Lancelots ein gefährlicher Verräter.“
„Nun, es gibt noch einige andere, die diese Einschätzung mit ihm teilen“, erwiderte Rowan. Ein helles Sirren erklang, als er sein Schwert aus der Scheide zog.
„Wie ich sehe, hast auch du dich verändert, Rowan von Caer Goch“, sagte Urfin gänzlich unbeeindruckt. „Aus dem zurückhaltenden, fast ängstlichen Jungen, der stets im Schatten seines Vaters stand, ist nun ein
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