Gwydion 04 - Merlins Vermächtnis
besondere Rücksicht nehmen!“ Sie schüttelte unwirsch den Kopf und kümmerte sich um Rowan, auf dessen Stirn eine dicke Beule prangte, die er wohl einem von Mordreds Männern zu verdanken hatte.
„Sie hat Recht“, sagte Katlyn, als spräche sie die größte Selbstverständlichkeit der Welt aus.
„Fall du mir nicht in den Rücken“, brummte Gwyn.
„Oh, Gwydion Desert. Manchmal bist du ein echter Narr. Brillant, aber ein Narr. Anstatt einfach zu tun, was du tun musst, verlierst du viele Worte, wo beherztes Handeln vonnöten ist.“ Mit diesen Worten ließ sie ihn stehen.
„Wie lange, sagtet Ihr, kennt Ihr Euch?“, fragte Roderick und klopfte den Dreck aus seiner Kutte.
„Ein Jahr?“, sagte Gwyn abwesend.
„Und Ihr redet miteinander, als wäret Ihr schon ein ganzes Leben lang Mann und Weib. Was muss dieses Mädchen Euch lieben!“
Noch in derselben Stunde zogen sie weiter, denn ohnehin würde in einer Stunde die Sonne aufgehen. Diesmal kamen sie schneller voran. Gwyn hatte sie zu den Pferden geführt, die er für alle Fälle in Sicherheit gebracht hatte. Lancelot und Roderick bekamen ihr eigenes Reittier, während sich sowohl Gwyn und Katlyn als auch Muriel und Rowan eines teilten.
Am späten Vormittag erreichten sie die Stelle, an der sie das Boot versteckt hatten. Doch es war fort.
„Hier ist noch der Rest des Seils, mit dem wir es festgebunden hatten“, sagte Gwyn.
„Hat man es mit einem Messer durchtrennt?“
Gwyn schüttelte den Kopf und zeigte auf einen Felsen. „Sieht so aus, als wäre es von einer Felskante durchgescheuert worden. Vermutlich ist das Boot jetzt irgendwo nach Germanien abgetrieben worden.“
„Verdammt“, fluchte Rowan. „Und wie sollen wir jetzt nach Dinas Emrys kommen?“
„Über den Landweg“, sagte Lancelot.
„Das ist viel zu gefährlich! Wir haben die Sachsen vor uns und Mordreds Männer im Rücken“, gab Rowan zu bedenken.
„Dann dürfen wir uns weder von den einen noch von den anderen erwischen lassen.“
„Lancelot hat Recht“, sagte Gwyn. „Wir haben keine andere Wahl. Es sei denn, du möchtest unbedingt hier Wurzeln schlagen.“
„Nein, das hatte ich eigentlich nicht im Sinn.“ Rowan seufzte. „Müssen wir erst wieder nach Londinium zurückreiten?“
„Hast du unterwegs vielleicht eine Furt oder gar eine Brücke gesehen?“
„Nein.“
„Also kannst du deine Frage gleich selbst beantworten“, knurrte Lancelot und wendete sein Pferd.
„Welche Laus ist ihm denn über die Leber gelaufen?“, fragte Rowan, als Lancelot außer Hörweite war.
„Wir haben zwei Tage vergeudet. Vier, wenn wir den Rückweg mit einrechnen. Uns läuft die Zeit davon. Mordred versammelt seine Armee und wir sind unserem Ziel nur ein kleines Stück näher gekommen. Wollen wir hoffen, dass Artur klug genug ist und sich auf diesen Krieg gut vorbereitet hat.“
Rowan lachte trocken. „Was glaubst du?“
„Ich glaube gar nichts“, sagte Gwyn ernst. „Wenn Artur die Gefahr nicht sieht, können wir nur hoffen, dass die Ritter, die bei ihm geblieben sind, klüger handeln.“ Er schnalzte mit der Zunge und das Pferd setzte sich in Bewegung.
Die Bedrohung, der sie sich nun ausgesetzt sahen, unterschied sich in einem wesentlichen Punkt von einer Schiffsreise. Während das Meer blind und unberechenbar war, so war der sommerliche Zauber, der auf dem Land lag, trügerisch, denn hier mussten sie sich nicht vor den Launen der Natur in Acht nehmen, sondern vor einem Feind, der Augen und Ohren hatte. Sie mieden die alten Römerstraßen und ritten durch dichte Wälder. Zuweilen hatten sie keine andere Wahl und mussten eine weite Ebene oder ein leicht einzusehendes Tal durchqueren, aber von den Sachsen war nichts zu sehen.
„Ich verstehe das nicht“, sagte Rowan kopfschüttelnd. „Waren denn alle Berichte über diese Barbaren übertrieben? Seit sechs Tagen sind wir schon unterwegs, aber haben wir irgendeine Menschenseele gesehen? Nein!“
„Dann ist das nur ein Zeichen dafür, dass wir den richtigen Weg gewählt haben“, sagte Lancelot. „Sei froh, dass wir den Sachsen noch nicht begegnet sind. Oder brennst du vielleicht auf einen Kampf?“
„Das tut niemand“, sagte Gwyn. „Aber trotzdem finde ich die Frage berechtigt. Den Sachsen eilt ein schrecklicher Ruf voraus, aber wo sind sie?“
Sie hatten in einer Talmulde die Pferde zu einem kleinen Fluss geführt und vertraten sich nun selbst ein wenig die Beine. Roderick hatte sich im Schatten eines Baumes
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